Rechte Netzwerke – Gefahr im Verzug?

Rechtes Gedankengut in Chatgruppen – damit beschäftigen sich Justiz und Politik. Sie versuchen herauszufinden, wie real die Gefahr von Gruppen wie “Nordkreuz” ist. Die Razzia ereignete sich zwar schon Ende August 2017, doch die Ermittlungen des Generalbundesanwalts dauern bis heute an: Vor knapp zwei Jahren durchsuchten Polizeibeamte Wohnungen und Geschäftsräume in Mecklenburg-Vorpommern. Der Vorwurf: Vorbereitung einer schweren, staatsgefährdenden Straftat. Konkret: Die Beschuldigten wollten Vertreter des linken Spektrums festsetzen und töten, so der Verdacht. Aber nicht sofort, sondern in einem Krisenfall. Was genau damit gemeint war, also wann welche Voraussetzungen für so einen Krisenfall gegeben gewesen wären, bleibt bis heute offen. Festnahmen gab es damals nicht. Im Fokus der Ermittlungen stehen auch vier Mitglieder des Reservistenverbandes in Mecklenburg-Vorpommern, darunter ein Polizist und ein Rechtsanwalt. Ein Reservisten-Landesverband, dem rund 1200 Mitglieder angehören, der als zerstritten gilt und der schon seit Jahren mit Rechtsextremismus-Problemen zu kämpfen hat. So tauchte 2014 eine Festplatte auf, auf der zwischenzeitlich Musikdateien mit ultrarechtem Gedankengut geladen waren. Wer die Daten damals hochgeladen hatte, konnte der Reservistenverband bis heute nicht zweifelsfrei klären.
Wie kann es sein, dass der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern die rechtsextremistischen Strömungen nicht entschieden bekämpft hat – nach all den Erfahrungen, die Deutschland mit dem bundesweiten Terrornetzwerk NSU gemacht hat? Zur Wahrheit gehört: Es gab auch bei den Reservisten in Mecklenburg-Vorpommern immer wieder Versuche, gegen solche Tendenzen vorzugehen.
“Spitze des Eisbergs”
Auch vom ehemaligen Vorsitzenden Helge Stahn etwa. Dieser wurde für seine Bemühungen allerdings nicht belohnt, im Gegenteil. Die Delegierten des Landesverbandes haben ihn im Sommer letzten Jahres abgewählt. Seinem Nachfolger Roland Heckt werfen nun interne Kritiker wiederum vor, einen zu laxen Umgang mit rechtsextremen Strömungen walten zu lassen. Weder der ehemalige noch der neue Vorsitzende geben dem Bericht aus Berlin ein Interview. Dafür aber Dirk Friedriszik, der für die SPD im Schweriner Landtag sitzt und der früher selbst im Reservistenverband aktiv war. Er recherchiert seit Jahren zum Thema Rechtsextremismus. Er geht davon aus, dass “wir hier in vielen Bereichen von der Spitze des Eisbergs reden”. Chatgruppe “Nordkreuz” In der Tat geht es bei den Ermittlungen der Bundesanwaltschaft heute nicht mehr um Musik-Dateien, sondern um Unterhaltungen in besonders gut verschlüsselten Gruppen-Chats. Eine besonders umstrittene Chatgruppe trägt den Namen “Nordkreuz”. Die Bundesanwaltschaft wertet diese Unterhaltungen derzeit aus, und sie muss nun die entscheidende Frage klären: Handelt es sich hierbei “nur” um rechte Fantasien, die aber in der realen Welt nie ausgelebt werden sollten, weil ja der “Krisenfall” in der Zukunft nicht näher definiert ist? Oder handelt es sich gar um rechtsextremistische Terrorpläne? Wie verzwickt die Situation für den Generalbundesanwalt ist, zeigt der Fall Franco A. Dabei handelt es sich um den Soldaten, der 2017 in die Schlagzeilen geriet: Er hatte sich inmitten der Flüchtlingskrise eine zweite Identität als syrischer Flüchtling zugelegt und versucht, illegal eine Waffe nach Deutschland zu schmuggeln. Wie viel kriminelle Energie, wie viele konspirative Gedanken steckten in Franco A.? Wollte er aus einer rechtsextremistischen Gesinnung heraus gar einen Anschlag planen und diesen Anschlag einem Flüchtling in die Schuhe zu schieben? Auch Franco A. chattete wohl in einer der umstrittenen Gruppenchats.
Der Fall Franco A. landete schließlich vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main. Und das kam im vergangenen Jahr zu einer anderen Haltung als die Bundesanwaltschaft: Franco A. sei mit großer Wahrscheinlichkeit zumindest noch nicht fest entschlossen gewesen, einen Anschlag zu begehen.

via tagesschau: Rechte Netzwerke Gefahr im Verzug?

mastodon.social/@dokmz"