Nach der Silvesternacht in Leipzig hat die SPD-Vorsitzende Saskia Esken die Einsatztaktik der Polizei hinterfragt. Riesenempörung! Dabei hat sie völlig recht. Tschuldigung, dass hier noch einmal zurückgespult wird, leider, aber es muss sein! Die SPD-Chefin und Bundestagsabgeordnete Saskia Esken hatte nämlich angesichts eines offenkundig völlig aus dem Ruder gelaufenen Polizeieinsatzes in der Leipziger Silvesternacht in einem Interview eine Frage gestellt. Nämlich, ob “die Einsatztaktik angemessen war”. Die Frage ist sehr neutral und sehr präzise. Es handelte sich in dieser Nacht um einen alles in allem extrem verstörenden Einmarsch der Polizei in einem alles in allem extrem normal-bürgerlichen Leipziger Stadtteil namens Connewitz. (…) Der diesjährige Silvestereinsatz jedenfalls endete mit ernsthaft verletzten Polizisten, die zuvor mit Vermummten aneinandergeraten waren, die mit Knallwerk bewaffnet waren – kurz: alles in allem eine unfiligrane Begegnung. Saskia Esken stellte daraufhin als einzige Politikerin in diesem Land die in dieser Situation nicht nur vollkommen angemessene und dringende, sondern auch nötige und richtige Frage: Welches Handlungskonzept verfolgte die Polizei? Darauf folgte die öffentliche Bloßstellung einer Politikerin, die ziemlich allein und ziemlich korrekt gehandelt hat und dafür deutschlandweit von Politik, Medien und Bürgerschaft denunziert wurde. Es lohnt nicht, das alles zu zitieren, man kann es als politisches Tourettesyndrom bezeichnen. Von ganz oben, Esken falle der Polizei in den Rücken, während “die für uns die Knochen hinhalten” (Christian Lindner), bis nach ganz unten, “Saskia Eskens fatale Logik” (Nürnberger Zeitung), in der ihr Nachfragen als Provokation umgedeutet wird, die am Ende zum Ausleben linksextremer Utopien in rechtsfreien Räumen führen werde. Da taten sich intellektuell beachtliche Argumentationslinien auf. Dabei sollte jeder Bundesbürger in diesem Land, nachdem so eine Frage in der Öffentlichkeit gestellt worden ist, erst einmal beruhigt aufatmen. Denn in einer funktionierenden Demokratie machen das Politiker so. Sie stellen die Polizeiarbeit nicht nur infrage, sondern kontrollieren sie fortwährend. Der Rechtsstaat zeichnet sich durch Gewaltenteilung aus. Das heißt, dass Judikative, Exekutive und Legislative sich gegenseitig kontrollieren. Kontrollieren, nicht vertrauen. In einem Polizeistaat ist das Volk seiner Polizei schutz- und rechtlos ausgeliefert. Deutschland ist aber (noch) keine Diktatur, weshalb alle staatlichen Organe dem Volk gegenüber rechenschaftspflichtig sind. Damit die Polizei nicht in antidemokratische Bereiche abrutscht, in denen sie autonom und entfesselt vor sich hin eskaliert, muss jeder Schritt, den sie macht, jeder Tweet, den sie absetzt, jeder Griff zur Waffe akribisch und pingelig beobachtet werden. Das Benehmen eines jeden Polizisten hat juristisch tadellos zu sein. Diesen Anspruch darf jeder Demokrat in diesem Land seiner Polizei gegenüber äußern. So gesehen muss ein Polizeieinsatz, der so abgelaufen ist wie in Leipzig, zwingend hinterfragt werden. Zumal die von der Presseabteilung der Polizei Sachsen und in einem Interview des Leipziger Polizeipräsidenten Torsten Schultze gemachten Angaben zum Geschehen in der Nacht sich im Nachhinein als falsch herausstellten. Wenn staatliche Stellen wissentlich die Unwahrheit behaupten, spricht man übrigens von Propaganda. Tun sie es unwissentlich, spricht man von Fehlinformation. Beides ist problematisch. Die Fakten kennen und zurückhalten. Wie auch das Gegenteil: Die Fakten nicht kennen und irgendwas behaupten. Die Kontrollinstanzen der Polizei sind, laut Bundeszentrale für politische Bildung, das Parlament, Gerichte und “die kritische Öffentlichkeit”. Das ist die demokratische DNA dieses Landes. Die Gewerkschaft der Polizei lud Saskia Esken nach ihrer kritischen Bemerkung ein, sie in Sachen Polizeieinsätze und Gewalt unterrichten zu wollen. Die Polizeigewerkschaft ist keine neutrale Instanz, sondern eine Interessenvertretung. Trotzdem behandelt sie die Bundestagsabgeordnete Esken wie eine Problemschülerin mit Förderungsbedarf, die anzutanzen hat. Wenn es hart auf hart kommt, sind aber die Polizisten in der Gewerkschaft (sofern sie im aktiven Dienst sind) der Parlamentarierin rechenschaftspflichtig, nicht umgekehrt. Allein daran sieht man, wie wenig die Polizei es gewohnt ist, dass sie öffentlich befragt wird. (…) Nahezu nichts, was die Polizei über diesen Einsatz in Leipzig-Connewitz erzählt hat, stimmte. Orchestrierte Angriffe, brennende, auf Polizisten zugeschobene Einkaufswagen, Notoperation – nichts davon stimmte. Diese Polizei will nun also die Geschehnisse aufklären. Und das ist die nächste Komplikation. Kann man einer Polizei glauben, die eine erstaunliche Fehlerquote beim Sammeln und Kommunizieren von Angaben über einen Einsatz aufweist und nun in eigener Sache ermitteln und überprüfen will?

via zeit: Die Polizei hat kein Recht darauf, angebetet zu werden

siehe auch: Bewährungsstrafe für Beteiligten an Silvester-Randale – #connewitz #le3112. Wegen seiner Beteiligung an den Vorkommnissen in der Silvesternacht in Leipzig ist ein 27-Jähriger zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt worden. Der Mann soll zudem 60 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Das Amtsgericht Leipzig sprach den Straßenkünstler am Mittwoch wegen Angriffs auf und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie Körperverletzung schuldig. Er hatte zugegeben, in einer Seitenstraße des Connewitzer Kreuzes einem rennenden Polizisten ein Bein gestellt zu haben. Der Beamte stürzte und verletzte sich leicht.