Hat Kronprinz Wilhelm dem NS-Regime „erheblich Vorschub geleistet“? Dazu gibt es nun vier Historikergutachten. Doch die Kontroverse geht weiter. Wer hätte gedacht, dass sich die Öffentlichkeit noch einmal mit der Aristokratie aus deutscher Vergangenheit ernsthaft beschäftigen würde – mit dem, was der Adel politisch tat und trieb, jenseits von prächtigen Hochzeiten und wohlinszenierten Begräbnissen? (…) Unterdessen sind von ausgewiesenen Historikern nicht weniger als vier Gutachten erstellt worden, die die durch das Ausgleichsgesetz aufgeworfene Frage nach dem „erheblichen Vorschub“, den die Hohenzollern oder einzelne Familienmitglieder dem NS-Regime geleistet haben sollen, beantworten sollen. Dann nämlich ist der im Gesetz verankerte Anspruch auf Entschädigung für enteigneten Grundbesitz sowie Herausgabe von beweglichen Gütern verwirkt. Wohlgemerkt geht es ohnehin nur um denjenigen Besitz, der den Hohenzollern 1926 bei der vertraglichen Einigung mit dem Land Preußen als Privat-(Familien-)Besitz zugesprochen worden war. Der aber wurde nach 1945 auf Anordnung der Sowjetischen Militäradministration enteignet. Dass Grundbesitz beim jetzigen Streit von jeglicher Restitution ausgenommen ist, ergibt sich aus dem deutsch-deutschen Einigungsvertrag, in dem die Enteignungen aus der Zeit zwischen 1945 und 1949 als endgültig festgeschrieben wurden.
Wilhelm-Leaks durch Böhmermann – Ausgerechnet Fernsehkomiker Jan Böhmermann war es vorbehalten, die warum auch immer unter Verschluss gehaltenen Gutachten ins Netz zu stellen und so zu veröffentlichen. Mit diesen vier Gutachten hat der Rechtsstreit eine ganz neue Qualität erhalten – eine, die ihn aus der Sphäre der Rechtsfindung heraushebt, ja sogar seine Fortführung im Grunde unmöglich macht. Denn historische Erkenntnis steht nicht zur Disposition von Gerichten. Auch deswegen setzt das Grundgesetz in Artikel 5, Absatz 3 die Freiheit von Wissenschaft und Forschung absolut: Sie sind als solche nicht justiziabel. Mit den Gutachten aber, die die streitigen Parteien angefordert haben, rückt historische Erkenntnis selbst vor die Schranken des Gerichts.

via tagesspiegel: Hohenzollern und Nationalsozialismus Die Totengräber der Republik

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