Nur ein gefährlicher Irrer oder ein überzeugter Rassist und Rechtsextremist mit Wahnvorstellungen? Die Extremismusforscherin Alexandra Kurth von der Uni Gießen hat sich das 24-seitige Manifest des Attentäters von Hanau angeschaut und kommt zu einer eindeutigen Einschätzung. Alexandra Kurth forscht an der Justus-Liebig-Universität Gießen über politische Bildung, das politische System in der Bundesrepublik und Rechtsextremismus in Deutschland. Die 1970 geborene Politikwissenschaftlerin engagiert sich seit Jugendtagen bei den Jusos und der SPD und Amnesty International. hessenschau.de: Frau Kurth, Sie setzen sich als Politologin seit Jahren mit dem Thema Rechtsextremismus auseinander. Sie haben sich das 24-seitige Manifest des mutmaßlichen Täters von Hanau angeschaut. Wie würden Sie seine Motivlage beurteilen? Alexandra Kurth: Ich kann mich nun insbesondere auf sein Schreiben stützen. Hierbei handelt es sich um eine Verschwörungsfantasie, die vor allem aus rassistischen und antisemitischen Vorstellungen zusammengesetzt ist. Außerdem finden sich darin militaristische, sexistische und sozialdarwinistische Überlegungen. hessenschau.de: Ordnen Sie das, was Sie in dem Pamphlet lesen, als rechtsextrem ein? Kurth: Dem Dokument liegt eindeutig ein rechtsextremes Weltbild zugrunde. Ich würde es allerdings als ein unbelesenes charakterisieren. Der Schreiber setzt sich nicht mit einschlägigen rechtsextremen Texten auseinander, auch wenn natürlich gewisse Versatzstücke einfließen. Stattdessen sieht er sich selbst und seine Überlegungen als wichtigste Bezugsgröße für seine Weltsicht. Er glaubt, dass er als einziger die Wahrheit gefunden habe, und sieht sich als Genie.
hessenschau.de: Einige AfD-Politiker und der Chef der Identitären Bewegung Österreich, Martin Sellner, sehen in Tobias R. lediglich einen geistig Verwirrten ohne rechtsextremen Hintergrund. Zutreffend? Kurth: Ich bin keine Psychologin. Insgesamt ist mein Gesamteindruck von dem Schreiben aber: Es ist nicht wirr, sondern im Gegenteil hochgradig strukturiert und in gewisser Weise logisch aufgebaut. Das ist typisch für geschlossene Weltbilder. Umgekehrt bedeutet das aber nicht, dass der Schreiber keine psychischen Probleme hatte. Vieles deutet darauf hin, dass das Gegenteil der Fall war. Das Dokument zeigt, wie persönliche und psychische Probleme durch rechtsextreme Ideologieelemente scheinbar aufgelöst und in ein geschlossenes Weltbild transferiert werden können. Man darf diese rechtsextremen Motive auf keinen Fall kleinreden. Denn nahezu alle politischen Bezüge in seinem Dokument sind rechtsextrem.

via hessenschau: Extremismusforscherin über Hanauer Attentäter “Die politischen Bezüge in seinem Dokument sind rechtsextrem”

siehe auch: Tödliche Schüsse in Hanau Die Wahnwelt des mutmaßlichen Attentäters. Ein 43-Jähriger soll in Hanau zehn Menschen erschossen haben, zuvor verfasste er eine Art Pamphlet. Der Text offenbart die verstörende Weltsicht eines Rassisten. (…) Eigenen Angaben zufolge führte der gebürtige Hanauer nach außen ein unauffälliges, bürgerliches Leben: Nach Abitur und Zivildienst ließ er sich erst zum Bankkaufmann ausbilden und studierte anschließend BWL in Bayreuth. Eine Freundin oder Frau hatte er demnach nie, darüber hinaus ist über sein Privatleben bislang wenig bekannt. Behördlich ist der 43-Jährige nach SPIEGEL-Informationen ein unbeschriebenes Blatt, weder dem Verfassungsschutz noch der Polizei war er vor der Tat bekannt. Laut Hessens Innenminister Peter Beuth gehen die Behörden inzwischen von einem rechtsextremen Hintergrund der Tat aus, R. war offenbar ein militanter Rassist. Dazu passen die Angaben, die der mutmaßliche Attentäter von Hanau in einem Bekennerschreiben gemacht hat, das er vor der Tat im Internet veröffentlichte. (…) Einen Großteil des Schreibens macht eine Erläuterung der rassistischen und rechtsextremistischen Weltsicht von Tobias R. aus. Schon als junger Mann habe er die Meinung entwickelt, dass das “schlechte Verhalten bestimmter Volksgruppen” ein Problem sei. Er behauptet auch, dass der Islam “destruktiv” sei.