“Alaaf” statt “Heil Hitler”: Karl Küpper war Kölns einziger Karnevalist, der sich unter den Nazis ein Redeverbot einhandelte. 1952 wurde “Dä Verdötschte” erneut geächtet – seine Geschichte ist fast vergessen. Den Mumm muss man erst mal aufbringen, im Karneval 1937. Rauszugehen auf die Bühne, den ausgestreckten rechten Arm zu heben – und dann nicht “Heil Hitler!” zu rufen, wie es der ganze Saal erwartet, sondern festzustellen: “Nä, nä, su huh litt bei uns dä Dreck em Keller!” (Nein, nein, so hoch liegt bei uns der Dreck im Keller.) Oder, ebenfalls mit gestrecktem rechten Arm, betont unschuldig zu fragen: “Ess et am räne?” (Regnet es?), dabei die Augen nach oben zu verdrehen und zu antworten: “Nä, su e Wedder! Da müsse mer jo de Schirm opmaache” (Nein, so ein Wetter! Da müssen wir ja den Schirm aufmachen) . Dazu die Geste des Schirmhaltens mit geschlossener rechter Faust, die nicht von ungefähr an den Gruß der Arbeiterbewegung mit der geballten Faust erinnerte. Der Mann, der diesen Mut hat, heißt Karl Küpper – und ist Kölns einziger Karnevalist, der sich bei den Nazis ein Redeverbot einhandelte. (…) Toleranz gehörte nicht zu diesen Werten. Ab sofort waren antisemitische und rassistische Mottowagen bei fast allen Karnevalsumzügen zu sehen, vermeintlich homosexuelle Darstellungen von Männern in Frauenkleidern verpönt. Die Jungfrau im Kölner Dreigestirn und die Funkenmariechen, seit Jahrzehnten von Männern dargestellt, wurden zu Frauenrollen. Und schon im Februar 1933 verkündete die Kölner Prinzengarde, dass die NS-Führer von karnevalistischer Kritik verschont zu bleiben haben. Fast alle Jecken passten sich laut Bilz an – anders Karl Küpper: Er verulkte die braunen Machthaber, kritisierte als “Berichterstatter aus Abessinien” die Verwendung von Geldern aus der Sammlung des Winterhilfswerks für Parteizwecke. Und er dichtete, zum Beispiel: “Es stand ein Baum am Waldesrand und war organisiert. Er war im NS-Baumverband, damit ihm nichts passiert.”
Zunächst trauten sich die Nazis nicht, offen gegen den populären Büttenredner vorzugehen. Karl Küpper bekam Gestapo-Besuch, wurde verwarnt und zusammengeschlagen. Weitergemacht hat er laut Bilz trotzdem: “So kam er mit einem dicken Verband um den Kopf auf die Bühne und sagte: ‘Gestern ist mir ein Ziegelstein auf den Kopf gefallen.'” Den Zuschauern sei klar gewesen, was das bedeutete. Und Küpper legte noch einen drauf, veränderte sein Baumgedicht: “Es stand kein Baum am Wegesrand, er war nicht organisiert. Er war nicht im NS-Baumverband, damit mir nichts passiert.” Karneval 1939 hatten die Nazis genug. Sie ermittelten offiziell gegen Karl Küpper, wegen “Verächtlichmachung des Deutschen Grußes” sowie von NS-Amtsträgern und Organisationen. Der widerborstige Karnevalist erhielt ein lebenslanges Redeverbot – die Strafe kam einem Berufsverbot für Küpper gleich. (…)
Auch danach blieb der Büttenredner unangepasst: Bei seinen Bühnenauftritten wies Küpper süffisant auf die NS-Verstrickungen der Karnevalseliten hin. Denn der Kölner Karneval war keineswegs jener Hort des Widerstands, zu dem ihn eine bis in die Achtzigerjahre hinein verbreitete Legende verklärte. Zwar blieben die Rhein-Jecken mit Gründung des “Festkomitees Kölner Karneval” formal unabhängig, erkauften sich das jedoch durch die freiwillige inhaltliche Gleichschaltung. Festkomitee-Vorsitzender Thomas Liessem war bis 1945 im Amt – und bereits 1932 Mitglied der NSDAP geworden. Küpper eckte nicht nur bei den Karnevalsbonzen an, sondern auch in der Politik. Im Januar 1951 trat er bei der “Herrensitzung” des Vereins “Lyskircher Junge” auf, hob wie früher den rechten Arm zum Hitlergruß und proklamierte: “Et ess ald wigger am rähne!” (Es regnet schon wieder) – als Kritik am Einfluss früherer Nazi-Kader in der Bundesrepublik. “Dä Verdötschte” ätzte über die hohen Wiedergutmachungsanträge “ehemaliger Großagrarier und Rittergutsbesitzer” aus den Ostgebieten und verunglimpfte Bundeskanzler Konrad Adenauer “in ausgesprochen abfälliger und gehässiger” Manier, wie ein Geheimbericht des Bundesinnenministeriums feststellt. Etliche Politiker, unter anderem der Kölner Oberbürgermeister, verließen empört den Saal. Küpper wird Kabinettsthema Ein Jahr später wurde die Kritik der Karnevalisten an den Politikern sogar Kabinettsthema. Kanzler Konrad Adenauer diskutierte mit seinen Ministern über die “zersetzenden und gehässigen Satiren” im Karneval. Auf persönlichen Wunsch des Kanzlers wurde Bundesinnenminister Lehr beauftragt, “mit den Oberbürgermeistern einiger Hauptkarnevalsstädte Rücksprache zu nehmen”. Thomas Liessem, mittlerweile Leiter des “Bürgerausschusses Kölner Karneval”, erließ 1952 erneut ein faktisches Redeverbot gegen Karl Küpper.

via spiegel: Karneval in der Nazizeit Kölns mutigster Jeck