Bei der ­Demonstration der »Coronarebellen« in Berlin war der Verschwörungsglaube das verbindende Element. Qanon-Gläubige und Reichsbürger stürmten am Wochenende die Treppen vor dem Reichstagsgebäude. Ihre Ideologie ist längst bei den sich moderat gebenden Anführern und Anhängern von »Quer­denken 711« angekommen. »Wie, Trump ist gar nicht im Reichstag?« Der junge Mann ist sichtlich ­enttäuscht. Sein Gesicht ist gerötet, seine Augen sind verquollen. Das liegt am Pfefferspray, aber auch an der Enttäuschung: Er und etwa 300 andere hatten kurz zuvor versucht, gewaltsam in das Reichstagsgebäude einzudringen. Es dauerte mehrere Minuten, bis die Polizei den Mob von den Treppen des Parlamentssitzes vertreiben konnte. Rechtsextreme hatten schon Tage vor der bevorstehenden Demonstration der Initiative »Querdenken 711«, die sich vorgeblich gegen Freiheitseinschränkungen im Zuge der Pandemiemaßnahmen richtete, einen »Sturm auf Berlin« angekündigt. Der neurechte Verleger Götz Kubitschek hatte auf der Website seiner Zeitschrift Sezession geschrieben: »Kaum jemand aus meinem weiteren Umfeld wird zuhause bleiben, fast jeder wird sich auf den Weg machen.« Zudem hatte er davon geschwärmt, den »Protest zu verstetigen«. Auslöser des »Sturms auf den Reichstag«, der damit endete, dass die Stürmer auf den Treppen vor dem Eingang herumstanden, war allerdings nicht die Agitation der Neuen Rechten, sondern eine Wahnvorstellung von Reichsbürgern und Gläubigen der Qanon-Verschwörungsmythologie. Kurz bevor es zum Tumult vor dem Sitz des Bundestags kam, ging das Gerücht unter den Demonstrierenden um, der US-amerikanische Präsident Donald Trump halte sich im Gebäude auf und warte nur ­darauf, dem aufbegehrenden deutschen Volk »seine Freiheit wiederzugeben«. (…) Doch die Glaubenssätze von Qanon-Anhängern und Reichsbürgern waren keine Randerscheinung des Protests: Auf der Demonstration der bürgerlich auftretenden Initiative »Querdenken 711« waren auch dieses Mal schwarz-weiß-rote Reichsflaggen, Transparente mit der Aufschrift »Friedensvertrag jetzt« und Quanon-Symbole allgegenwärtig. Der Anführer der Initiative heißt Michael Ballweg. Sein Talent sei es, Menschen zusammenzubringen, sagte er am Samstag auf der Rednerbühne an der Siegessäule. Das zumindest kann man ihm nicht absprechen: Der IT-Unternehmer aus dem Schwabenland ist eine Integrationsfigur für Verschwörungsgläubige. Zugleich schaffte er es, sich als vermeintlicher Saubermann für Welt und Spiegel zu ­inszenieren. Worauf die Vertreter dieser Medien ihn allerdings nicht ansprachen: Er übernimmt Ideologieelemente der Reichsbürger und solidarisiert sich mit der Qanon-Bewegung – und all das, ohne sich die Finger allzu schmutzig zu machen. »Q, das steht für mich für question, für Fragen stellen«, hatte Ballweg auf der ersten Großdemonstration der »Coronarebellen« am 1. August auf der Bühne gesagt. Im Interview mit dem Hamas- und Erdoğan-Verehrer Martin Lejeune bekundete er fröhlich lachend, dass er eine Podiumsdiskussion mit dem selbsternannten »Volkslehrer« und Holocaust-Leugner Nikolai Nerling »phänomenal« fände. Auf der großen Bühne an der Siegessäule forderte am Samstag der von Ballweg geladene Redner Ralph Niemeyer den angeblich noch ausstehenden Friedensvertrag – eine Forderung der Reichsbürger. ­Anschließend erinnerte Ballweg selbst an die vermeintlich ausstehende Verfassung für die Bundesrepublik – auch das ein Versatzstück der Reichsbürger­ideologie. Ballweg selbst hat diese längst in seine eigenen Aussagen integriert.

via jungle: Im Wahn vereint