Erneut haben Ermittlerinnen des BKA im Prozess ausgesagt. Die Nebenklage sieht die vorgestellten Ermittlungsergebnisse durch Lücken als “entwertet” an. Es ging unter anderem um die Musiktitel, die der Angeklagte während des Terroranschlags abgespielt hat – und die auch den Verlauf des Anschlages beeinflusst haben können. Zunächst macht die BKA-Sachbearbeiterin im Zeugenstand einen kompetenten Eindruck. Sie hatte die Titel analysiert, die der Halle-Attentäter während seiner Tat abgespielt hatte. Die Musik spielt für das Verständnis der Tat eine wichtige Rolle: Sie war dem Attentäter so wichtig, dass er an seiner Weste einen MP3-Player samt Lautsprecher befestigt hatte, über den zwölf von ihm ausgesuchte Titel abgespielt worden sind. Die Zeugin führt aus, dass drei der Titel klar antisemitische und rassistische Hasspropaganda beinhalten. Die Songs sind mit wenigen Klicks im Internet zu finden, im Zuschauerraum des Saals sind sofort einige Besucher und Journalisten – auch wir selbst – simultan dabei, die Titel zu suchen – und werden fündig. Auf dem Cover eines Interpreten sind Bilder von Adolf Hitler zu sehen. Die Texte sind menschenverachtend. Die Zeugin sagt zeitgleich aus, sie habe im Internet die Songtexte der Interpreten nicht auffinden können und habe die Lieder daher transkribieren lassen. Einer der Interpreten hatte als “Künstlernamen” den Namen des Attentäters gewählt, der 2018 in Toronto mit einem Auto in eine Menge gerast und zehn Menschen getötet sowie 15 weitere verletzt hatte. Von diesem Attentat handelt auch der Song, den der Attentäter in Halle abgespielt hatte. Dieses Detail ist deswegen wichtig, weil auch der Angeklagte auf seiner Fluchtfahrt aus Halle versucht haben soll, einen Menschen zu überfahren: Einen Somalier, der auf der Magdeburger Straße an einer Straßenbahnhaltestelle gerade die Fahrbahn überquerte. Als die BKA-Mitarbeiterin diesen Titel im November 2019 analysierte, kannte sie diesen Zusammenhang nicht.
Alexander Hoffmann, der Rechtsanwalt und Vertreter der Nebenklage, erklärte, das BKA habe die Arbeit seiner eigenen Sachbearbeiterin “entwertet”, indem man ihr diesen Tatzusammenhang nicht mitteilte. BKA: Untereinander kein Austausch? Ein weiterer Umstand wiegt noch schwerer: Die Ermittlerin hatte zwar, offenbar durch eigenes Engagement und recht detaillierte Recherche, die rassistischen Inhalte der Musik mit Sprachformen der amerikanischen rechtsextremen Alt-Right-Bewegung in Verbindung gesetzt – aber sie hatte dazu keinen Zugang zu Informationen aus anderen BKA-Fachbereichen. Das wurde bei einem Wortwechsel zwischen dem Vertreter der Nebenklage, David Benjamin Herrmann, und der Zeugin deutlich: “Ich habe den Titel [eines Musikstückes aus der Playlist des Attentäters, in dem die Ermittlerin keinen ideologischen Tatbezug finden konnte] gerade eingegeben und hinterher ‘Nazi’. Ich bekomme direkt Hitler-Musicals vorgeschlagen. Es gibt doch beim BKA Abteilungen, die sich in besonderen Milieus besonders auskennen?” “Ja” Herrmann: “Auch mit Internet-Phänomenen?” “Ja” Herrmann: “Ist diese Abteilung mit ihrer Auswertung befasst gewesen?” “Dazu kann ich keine Aussage treffen. Das weiß ich nicht.”
Der Anwalt schließt seine Befragung der Zeugin mit einer Bemerkung an das Gericht: “Wenn wir hier einen internetkompetenten 18-Jährigen hingesetzt hätten, hätte der uns mehr sagen können, als alle Zeugen des BKA.” Ermittlungslücken im Gamingverhalten Dass das BKA bei Internet-Ermittlungen offenbar schlecht aufgestellt ist, war bereits zu Beginn des Verfahrens deutlich geworden: Internetkontakte des Angeklagten waren nicht ermittelt worden, Forenbeiträge auf Imageboards über das Halle-Attentat waren nicht gesichert worden. Insgesamt hatten 175 Ermittlerinnen und Ermittler an dem Fall gearbeitet – aber die Zeuginnen und Zeugen der Behörde hatten im Prozess oft nicht sagen können, wer welchen Teil der Ermittlungen geleitet hatte und was die Ergebnisse ihrer Kollegen und Kolleginnen waren. Einige Vertreter der Nebenkläger kritisieren das BKA scharf:

via mdr: Halle-Attentat – Reportage zum siebzehnten Prozesstag Offenbar weitere Ermittlungslücken beim BKA