Es braucht eine unabhängige Polizeistudie, sagt der Soziologie Wilhelm Heitmeyer. Horst Seehofer kritisiert er scharf. 17 Jahre lang war Wilhelm Heitmeyer Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld. Soeben ist sein neues Buch „Rechte Bedrohungsallianzen“ erschienen, in dem er vor der Gefährlichkeit der AfD und der Unterwanderung deutscher Sicherheitsbehörden warnt. Herr Heitmeyer, nach Krach in der Großen Koalition hat Innenminister Horst Seehofer (CSU) diese Woche noch einmal klargestellt, dass es „keine Rassismusstudie in der Polizei“ geben wird, wohl aber eine Untersuchung des Polizeialltags. Was halten Sie davon? Entscheidend wird sein, ob ein seriöses Forschungsdesign allein nach wissenschaftlichen Standards entwickelt und extern begutachtet wird. Sonst sind die Wissenschaftler nicht zu beneiden angesichts der Neigungen von Innenministerien, Eingriffe sowohl bei Fragestellungen als auch Interpretationen vorzunehmen. Der Ermittlung der Ausmaße von Rassismus sind angesichts der zur Zeit überhitzten Debatte methodisch enge Grenzen gesetzt – anders sieht es bei den Mechanismen aus. Zwei Fragen sind wichtig: Welche Personen gehen zur Polizei? Welches Verhalten erzeugen die Risikokonstellationen im Polizeialltag einschließlich rassistischer Grenzüberschreitungen? Seit Monaten sträubt sich Seehofer gegen eine unabhängige Polizeistudie – trotz zahlreicher aufgeflogener Chatgruppen, rechtsradikaler Verdachtsfälle und auffälliger Adressabfragen von Polizeicomputern… Dafür habe ich kein Verständnis. Jede Gesellschaft hat ein Recht darauf zu wissen, was in den Institutionen vor sich geht, die sie selbst mit dem Gewaltmonopol, mit Macht und Waffen ausgestattet hat. Eine solche Abschottung sollte sich keine Gesellschaft bieten lassen. Diesen Monat hat der Minister allerdings einen Lagebericht zu Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden vorgestellt. Dort sind 319 rechtsextreme Verdachtsfälle in den eigenen Reihen aufgeführt. Ein reines Ablenkungsmanöver. Die 319 Fälle sind doch nur das Hellfeld – die waren schon aufgedeckt. Selbst der Verfassungsschutz sagt, dass es aufs Dunkelfeld ankommt. Für dieses Lagebild wurde auch nichts untersucht, es gab nur eine Abfrage bei den Innenministerien der Länder. Neu sind derartige Ablenkungsmanöver allerdings nicht. (,…) Wie schlägt sich der Rechtsstaat im Kampf gegen Rechtsextremismus außerhalb der eigenen Reihen? Ich sehe dort partielle Blindheit bis hin zu Staatsversagen. Letzteres betrifft etwa den Verfassungsschutz, jedenfalls bis zur Ablösung von Hans-Georg Maaßen. Unter seinem Nachfolger Thomas Haldenwang weht spürbar ein anderer Wind, der ist auch dringend notwendig. In Ihrem neuen Buch „Rechte Bedrohungsallianzen“ sprechen Sie zudem von „moralischem Versagen“. Das besteht darin, dass der Staat seine Aktivitäten gegen Rechtsextremismus erst deutlich gesteigert hat, als mit Walter Lübcke im Juni vergangenen Jahres ein Politiker, ein prominenter Vertreter des Staates, ermordet wurde. Aber die vielen Menschen, die schon vorher getötet worden sind, etwa durch den NSU, diese Menschen sind auch prominent, für ihre Familien und Freunde. Und es ist kaum etwas passiert. Das heißt, der Staat ist jetzt aufgewacht? Ich fürchte, dass Teile der Politik immer noch nicht begriffen haben, wie gefährlich die Situation inzwischen ist. Es gibt eine Ausdifferenzierung und Dynamisierung von Gruppen bis zur erhöhten Terrorfähigkeit. Das gesamte rechte Spektrum ist in die Offensive gegangen.

via tagesspiegel: Wilhelm Heitmeyer über Kampf gegen Rechtsextremismus „Ich sehe partielle Blindheit bis hin zu Staatsversagen“