Seit Monaten läuft eine bundesweite Desinformationskampagne – offline. Gegner der Corona-Maßnahmen füllen deutsche Briefkästen mit irreführenden Flyern. Diese Recherche von CORRECTIV.Faktencheck zeigt, mit welchem massiven organisatorischen und finanziellen Aufwand sie die Menschen beeinflussen wollen. Ende Oktober erhalten wir die Nachricht eines Lesers aus Bielefeld: „Schon vor circa drei Wochen hatten wir ein Flugblatt in den Briefkästen, in dem Corona geleugnet wurde – ohne eine Angabe von Verantwortlichen“, schreibt er. „Heute war wieder so ein Pamphlet in den Briefkästen, worin eine Pandemie abgestritten wird und vor einer Zwangsimpfung gewarnt wird.“ Seitdem erreichten uns etliche Zuschriften über unerwünschte Flyer-Post im Briefkasten. Die Flugblätter sind Teil einer großangelegten Desinformationskampagne, an der sich zehntausende Gegner der Corona-Maßnahmen beteiligen. Eine Recherche von CORRECTIV.Faktencheck zeigt, dass zwei Vereine eine zentrale Rolle bei der Verteilung spielen: Die „Freiheitsboten“, ursprünglich von dem Arzt Bodo Schiffmann ins Leben gerufen, und „Eltern stehen auf“. Sie organisieren sich über den Messengerdienst Telegram. Dort kann man sich nicht nur wie bei Whatsapp Nachrichten senden, sondern auch öffentliche Kanäle einrichten, die jeder wie einen Newsletter abonnieren kann. Telegram ist ein Soziales Netzwerk, das jedoch anders als Facebook, Whatsapp oder Twitter bislang nichts gegen Desinformation unternimmt. Die Flyer-Kampagne hat hunderte Telegram-Gruppen über ganz Deutschland verteilt hervorgebracht. Für die Druckkosten fließen offenbar hohe Geldbeträge. Mutmaßlich stammt das Geld dafür aus Spenden, aber wie sich die Initiativen genau finanzieren, ist unklar. Auf unsere Anfragen dazu bekamen wir keine klaren Antworten. Fest steht: Sie haben Verbindungen in ein bundesweites Netzwerk von Wissenschaftlern, Meinungsmachern und Anwälten, das CORRECTIV.Faktencheck im August offen legte. Mit unseriösen Maskenattesten, Youtube-Videos und Beiträgen in Sozialen Netzwerken sollen die Corona-Maßnahmen der Regierung untergraben werden.
Die „Freiheitsboten“ verteilen auch massenhaft Flyer in Kooperation mit anderen Organisationen. Darunter ist der Verein „Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie“ (MWGFD), dessen Vorsitzender der umstrittene Wissenschaftler Sucharit Bhakdi ist. Dem Verein wurde im Oktober der Status der Gemeinnützigkeit entzogen. Allein für einen seiner Flyer mit einer angeblichen Auflage von drei Millionen würden die Druckkosten nach Recherchen von CORRECTIV.Faktencheck im fünfstelligen Bereich liegen. In einer wochenlangen Recherche haben wir analysiert, wie die Flyer-Maschinerie organisiert ist, wer die Drahtzieher sind und wie groß die Gefahr ist, die von dieser Art der Stimmungsmache ausgeht. Mitten in einer weltweiten Pandemie findet in Deutschland eine organisierte Desinformationskampagne statt – online und offline. Seit Jahren berichtet CORRECTIV.Faktencheck darüber, wie sich Desinformation vor allem im Netz rasant verbreitet. Doch dort wird sie inzwischen teils wirkungsvoll bekämpft, zum Beispiel von Faktencheck-Redaktionen wie uns. In der Corona-Pandemie suchen die Verbreiter irreführender Narrative daher neue Wege – und agieren immer stärker offline. „Da man keine Chance sieht, über die ‘Mainstream-Medien’ seine Botschaften mit einem positiven Ton zu verbreiten, liegt dieser Schritt nahe“, sagt der Kommunikations- und Medienwissenschaftler Carsten Reinemann von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Das diene dazu, Personen zu erreichen, die sonst nichts von den Aktivitäten der Corona-Gegner mitbekommen würden. Anders als in Sozialen Netzwerken gibt es bei Flyern keine Möglichkeit für Widerspruch. „So wie das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit geschützt ist, ist auch die Meinungsfreiheit geschützt. Per Flyer darf Unsinn verbreitet und die Regierung kritisiert werden“, schreibt uns das baden-württembergische Innenministerium in einer E-Mail. „Wenn allerdings per Flyer Straftaten begangen werden, ist das ein Fall für unsere Sicherheitsbehörden.“ Die Verbreitung von Desinformation mag keine Straftat sein. Aber sie kann Gesellschaften spalten, Angst und Hetze verbreiten und im schlimmsten Fall Menschenleben kosten. Einem Sprecher des nordrhein-westfälischen Innenministeriums zufolge besteht die Gefahr, „dass durch gezielte Desinformation die Verunsicherung in der Bevölkerung durch die Corona-Pandemie geschürt wird“. Vor allem Rechtsextremisten könnten diese Verunsicherung nutzen, „um staatliche Entscheidungen in Frage zu stellen“.

via correctiv: Die Flyer-Maschinerie der Corona-Gegner