„Querdenkerinnen“ mit Judensternen oder Bill Gates als der große Schuldige: Corona-Leugnerinnen vermischen sekundären und strukturellen Antisemitismus. Was sind die Gemeinsamkeiten und Unterschiede? Ein siebenjähriges Mädchen, das sich mit Anne Frank vergleicht, Corona-Leugner*innen mit Judensternen, auf denen „ungeimpft“ steht – all dies ist ziemlich eindeutig, nämlich eindeutig antisemitisch. Der Vergleich der Corona-Maßnahmen mit den Nürnberger Rassegesetzen und dem Arierparagaphen schlägt nicht nur in eine Kerbe des Geschichtsrevisionismus und lässt sich eindeutig dem Post-Shoa-Antisemitismus zuordnen. Immer häufiger kann man auch eine Vermischung von strukturellem und Post-Shoa Antisemitismus erkennen. Was sind Gemeinsamkeiten und Unterschiede?Der Post-Shoa Antisemitismus, auch als sekundärer Antisemitismus bekannt, lässt sich zeitlich nach dem Zweiten Weltkrieg einordnen. Der israelischen Psychotherapeuten und Autor Zvi Rex fand passende Worte, um diese Form des Antisemitismus zu beschreiben: „Die Deutschen werden den Juden Ausschwitz niemals verzeihen.“ Post-Shoa-Antisemitismus wird zum Beispiel in der Schlussstrichdebatte sichtbar. Auch Täter-Opfer-Umkehr, die kollektive Schuldabwehr, die Leugnung der Shoa und die Konstruktion eines Nutzens der Shoa durch Juden und Jüdinnen, also die angebliche „Holocaust-Industrie“ sind typische Erscheinungen des sekundären Antisemitismus. Strukturell antisemitisch ist zum Beispiel die Personifizierung von gesellschaftlichen Problematiken. Das geschieht aus unterschiedlichen Gründen, oft ist der Auslöser verkürzte Kapitalismuskritik (…) Analytisch sollte man beide Formen, strukturellen und sekundären Antisemitismus, zwar voneinander trennen, gesellschaftlich treten sie jedoch vermehrt gemeinsam auf. Dies kann man während der momentanen Corona-Krise feststellen und die Corona Leugner*innen Szene dient als aktuelles Beispiel. In einigen Telegram-Gruppen wird das Wort „COVID-19-Virus“ durch „jüdisches Virus“ oder „israelisches Virus“ ersetzt. Vermehrt wird Israel vorgeworfen, das Virus verbreitet zu haben, um wirtschaftlich von einem Impfstoff profitieren zu können. Gesellschaftliche Problematiken werden verkannt, einfache Lösungen bzw. Schuldige gesucht. Strukturell antisemitisch ist in diesem Zusammenhang die Personifizierung von gesellschaftlichen Problemen. Gerade in der Bundesrepublik, dem Land, das nach der Niederlage des Nationalsozialismus entstanden ist, geht es dabei auch um Täter-Opfer-Umkehr. Ein genauerer Blick in die Telegram- oder YouTube-Kanäle der Szene zeigt: Die Ablehnung gegenüber Juden und Jüdinnen bleibt nicht abstrakt. Das strukturell antisemitische Element der Schuldzuschreibung kommt vermehrt im Zusammenhang mit dem Post-Shoa-Antisemitismus in der Corona-Leugner-Szene vor. Auch wenn die bekannten „Querdenken“-Influencerinnen nur bei Andeutungen bleiben, versteht ihr Publikum gut was gemeint ist. Jüdischen Menschen wird nicht nur vorgeworfen, einen Nutzen aus der Shoa gezogen zu haben, ihnen wird auch eine alleinige Schuld an ihrem Schicksal und ihrer Vernichtung gegeben. Beispielhaft dafür steht das Juden und Jüdinnen vorgeworfen wurde, sie hätten die Shoa initiiert, um eine Legitimation zur Gründung eines eigenen Staates (Israel) zu haben. Die Vermischung von strukturellem und sekundärem Antisemitismus, die man momentan in der „Querdenkerinnen“-Szene beobachten kann, führt einerseits zu einem Erstarken von antisemitischen Ressentiments und trägt andererseits zu einer Normalisierung antisemitischer Strukturen bei.

via belltower: Das System ist gemein – aber nicht geheim!

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