Verwandlung einer Berlinerin: Sie wurde als Modedesignerin gefeiert, jetzt hat sie als Anwältin eine Partei gegründet und wettert gegen Lockdown und Impfungen. Im Januar 2015 scheint die Karriere der Berliner Hutmacherin Rike Feurstein auf dem Höhepunkt zu sein. Die Modedesignerin verblüfft die Zuschauer auf der Fashion Week, lässt ihre Models mit Hüten und Hunden über den Laufsteg laufen. Es gibt Applaus, schüchtern winkt die Frau mit der langen blonden Haarsträhne und dem karierten Kleid ins Publikum. Im Januar 2021 steht Rike Feurstein mitten im Corona-Lockdown in einer Bar in Prenzlauer Berg. Sie heißt Viviane Fischer, ist Rechtsanwältin und spricht mehrmals zu den etwa 30 versammelten Personen. Man wolle hier eine Partei gründen, in geschlossener Versammlung. Alles wird mit Kamera live im Internet übertragen, kaum ein Anwesender trägt Maske, wenige halten Abstand, soweit es im Video zu erkennen ist. Laut Veranstalter lagen dafür Atteste vor. (…) Es ist eine seltsame Wandlung von der Hutmacherin Rike Feurstein zur Corona-Verharmloserin Viviane Fischer. Die Designerin hat einst Hüte für die Fernsehshow „Germany’s Next Topmodel“ entworfen  und für Prominente wie Victoria Beckham, hat Preise gewonnen, Schafe gezüchtet, wurde im Magazin Vogue gefeiert. (…) Feursteins Boutique in Berlin-Mitte gibt es nach wie vor. „Aluhut Design des Jahres 2021“ hat jemand auf das Schaufenster geschrieben. Die Feurstein-Website ist offline, das Telefon scheint abgeschaltet. Der Internet-Auftritt der Kanzlei Fischer hingegen ist erreichbar. (…) Wie wurde aus Rike Feurstein Viviane Fischer? Man würde sie gerne selbst fragen. Doch eine Anfrage dieser Zeitung beantwortet sie nicht. Einen Fragenkatalog des Tagesspiegel stellt sie auf ihrer eigenen Webseite 2020news.de online. „Mein Label trägt den Namen Rike Feurstein“, erklärt sie dort. „Feurstein ist mein Geburtsname. Und Rike ist mein zweiter Rufname.“  Sie sei als Rechtsanwältin zugelassen, zudem diplomierte Volkswirtin. Auf Nachfrage bestätigt die Rechtsanwaltskammer Berlin, dass sie als Anwältin zugelassen ist. Der Name Feurstein habe, so Viviane Fischer, eine besondere Bedeutung für sie: Ihr Großonkel sei der Priester Heinrich Feurstein gewesen, der im Widerstand gegen die Nazis im Konzentrationslager starb. Das treibe sie an. Nicht ganz Jana aus Kassel, die sich mit Sophie Scholl verglichen hat. Kurz vor Silvester verschickte die Anwältin Fischer laut MDR bedrohlich wirkende E-Mails an Alten- und Pflegeheime. Die Schreiben sind nach Auskunft des Thüringer Gesundheitsministeriums gespickt mit „Falschaussagen“ und „Halbwahrheiten“ zum Thema Impfungen gegen das Coronavirus gewesen. Die neuen Querdenker sind keine lauten Provokateure mehr Der Welt am Sonntag hat Viviane Fischer in einem Gespräch Auskunft über ihr Denken gegeben. Dort bezeichnet sie den ersten Lockdown im vergangenen März als Weckruf, sie habe nächtelang im Internet recherchiert. Früher habe sie Proteste gegen Modeläden organisiert, die bei Neonazis populär waren. Dass sie mittlerweile in YouTube-Runden neben Verschwörungstheoretikern sitzt, stört sie offenbar nicht. „Ich sehe uns isoliert von solchen Geschichten“, sagt Fischer, sie fühle sich „der humanistischen Tradition verpflichtet“, als Aufklärerin. „Vielleicht bin ich unklug, aber ich will nicht feige sein.“ Die neuen Querdenker sind nicht mehr laute Provokateure wie Attila Hildmann, Xavier Naidoo oder Michael Wendler. Sie kommen seriöser, leiser daher, treten als Rechtsanwälte auf, als Mediziner, Parteigründer, Bürgerrechtler. Verwirren mit Statistiken, Zahlen, Klageschriften, Internet-Kanälen und Live-Kameras. Behaupten, der Mainstream aus Politik, Medien und Wissenschaft wolle ihre Wahrheit nicht hören. „Es ist ein klassisches Instrument, sich als unterdrückt zu inszenieren“, sagt Jonas Rees, Psychologe und Konfliktforscher an der Universität Bielefeld. Er beschäftigt sich viel mit Verschwörungserzählungen. „Viele Menschen meinen, das seien nur ,harmlose Spinner am Rande der Gesellschaft‘.“ Rees ist vom Gegenteil überzeugt. „Es sind oft eher ,gefährliche Normalos in der Mitte der Gesellschaft‘“, sagt er.

via berliner zeitung: Wie aus der Hutmacherin Rike Feurstein eine Corona-Verharmloserin wurde