Die Polizei überwältigen, Auflagen ignorieren, Mythen verbreiten: Nach diesem Rezept laufen Demonstrationen von Querdenkern ab. Am Samstag in Kassel ging ihr Plan erneut auf. Der Samstag in Kassel endete, wie er begonnen hatte: im Chaos. Demonstranten und Polizisten gingen aufeinander los, die Beamten setzten Wasserwerfer, Pfefferspray und Schlagstöcke ein. Mehrere Zehntausend Teilnehmende zogen bei einer Querdenker-Demonstration durch die hessische Stadt. Die Szene deutscher Corona-Leugner hatte bereits seit Januar zu dem Großevent aufgerufen. Die Kasseler Querdenken-Sektion und eine Gruppe namens Freie Bürger Kassel verfolgten ein offensichtliches Ziel: Eskalation. In Videoaufrufen wurden Auseinandersetzungen von Demonstranten mit Polizisten aus anderen Ländern gezeigt. Wie bereits zuvor in Leipzig und Dresden setzt sich Querdenken über rechtsstaatliche Normen hinweg. Mit Erfolg hat die Bewegung ihre Demonstrationsstrategie aus dem Osten der Republik exportiert. Die Grundidee besteht darin, Versammlungsauflagen und Gerichtsentscheidungen zu ignorieren, Polizisten durch schiere Masse zu überwältigen und die eigene Macht zu demonstrieren. Ursprünglich wollte die Stadt Kassel den Aufmarsch komplett untersagen. Am Freitag hatte der hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass die Querdenker eine Kundgebung auf der östlichen Flussseite abhalten dürfen – und keine Demonstration, bei der die Teilnehmer in die Innenstadt ziehen. Zudem erklärte das Gericht Masken und Abstand zur Pflicht. Überforderte Polizei Keine der Auflagen hielten die Demonstrantinnen und Demonstranten ein. Und die Polizei scheiterte an der Durchsetzung. Die Teilnehmer zogen auf verschiedenen Routen und im großen Pulk durch die Stadt. Sie durchbrachen Polizeiketten und johlten, wenn Polizisten Radfahrer von der Straße zerrten und zuschlugen. Die Radfahrer hatten versucht, den untersagten Aufmarsch zu stoppen. An den Prügelszenen lässt sich die Überforderung der Beamten ablesen. Sie sollten einen illegalen Aufmarsch absichern, den Verkehr auf einer nicht geplanten Route regeln und dazu noch mit Protestaktionen umgehen können. Das scheiterte. Genau darauf hatten es die Organisatoren angelegt. Bundesweit bekannte Kader der rechten Szene sprachen nicht bei der legalen Kundgebung im Ostteil der Stadt, sondern auf der verbotenen in der Kasseler Innenstadt. Nach innen stärken diese Events die Bewegung im Glauben daran, die vermeintliche Mehrheit der Bevölkerung zu repräsentieren. Denn die Querdenken-Bewegung sieht sich in einem Kampf gegen den Staat an sich, den sie als Corona-Diktatur bezeichnet. Auf T-Shirts und Plakaten war der Slogan „Art. 20 Abs. 4 GG“ zu lesen. Dieser Grundgesetzartikel räumt jedermann das Recht zum Widerstand gegen Feinde der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ein, „wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“. Seit Jahren beruft sich die rechtsextreme Szene auf den Artikel – und zunehmend auch Verschwörungstheoretiker und Querdenker.

via zeit: Querdenken gegen den Staat

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