Neue Erkenntnisse zu der Internet-Kampagne: Maskenverweigerer am Set, Verwerfungen innerhalb der Filmbranche und ein ominöser Drahtzieher aus dem Querdenker-Milieu. Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit dem Recherchenetzwerk Antischwurbler, einem zivilgesellschaftlichen Rechercheteam, das sich schwerpunktmäßig mit antidemokratischen Strömungen und der Neuen Rechten befasst. (…) #allesdichtmachen kam nicht aus heiterem Himmel. Am 20. März sitzt Paul Brandenburg bei „Kaiser TV“, einem YouTube-Talkformat des Autors Gunnar Kaiser. Unter dem Sendungstitel „Es ist eine Katastrophe!“ sprechen sie über die „Lust an Grundrechtseinschränkung“ in der Pandemie. Was wie ein netter Plausch unter Gleichgesinnten wirkt, ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Aktion #allesdichtmachen von langer Hand geplant war und von Beginn an eine politische Agenda verfolgte. Brandenburg ist Notfallmediziner, Unternehmer und Begründer der Initiative „1bis 19“, zu deren Hunderten von Unterstützer:innen auch der Schauspieler Volker Bruch und Regisseur Dietrich Brüggemann gehören. Sein Gesprächspartner Kaiser gibt auf Facebook mit Suggestivfragen schon mal einen scharfen Ton vor: „Haben ältere Menschen, die das (Anm.: die Corona-Maßnahmen) hinnehmen und freudig akzeptieren für ein paar eigene Lebensjahre mehr, diese Lebensjahre dann verdient?“ Auf diesen Punkt läuft es bei Kaiser und Brandenburg oft hinaus: Menschenleben werden gegen Freiheitsrechte ausgespielt. In der Sendung spricht Paul Brandenburg von einer „Art Kulturkampf des Rechtes auf physisches Leben gegen Menschenwürde und Lebensqualität“. Er sieht keinerlei rationalen Grund für die Corona-Maßnahmen, sie seien „medizinischer und juristischer Unsinn“. Ab Minute 14 wird es dann interessant. Brandenburg spricht über die Unterstützer:innen seiner Initiative: „Wir haben aus dem Medien- und Kunstbereich Namen, die im Vorabend- und Hauptabendprogramm bekannt sind aus den großen Sendern.“ Und weiter: „Wir stehen kurz davor, dass sich sehr viele outen werden. Und ich freue mich auf diesen Tag.“ (…) In der vergangenen Woche galt das mediale Interesse an der Kampagne ausschließlich den prominenteren Namen, wie dem Regisseur Dietrich Brüggemann sowie den Schauspielern Jan Josef Liefers und Volker Bruch; wobei letzterer in der Öffentlichkeit bisher weniger auffällig in Erscheinung trat. Dabei ist die eigentlich interessante Figur im Hintergrund Paul Brandenburg. Auch er ist medial sehr umtriebig, saß zum Beispiel am 22. Dezember 2020 im Sat1-Frühstücksfernsehen und präsentierte dort, rhetorisch sehr geschickt, seine Thesen zur Gefährlichkeit des Virus. Überwiegend bewegt er sich allerdings in Kreisen, die eher unter dem Radar der Öffentlichkeit operieren. Die Initiative „1bis19“ wurde im Mai 2020 von Brandenburg, Utz Hennig, einem Oberstleutnant der Bundeswehr, der Anwältin Barbara von Gayling-Westphal sowie dem Literaturagenten Alexander Simon gegründet. Erklärtes Ziel der Gruppe ist es, die bürgerliche Mitte der Gesellschaft zu erreichen und zu vernetzen, um gegen die „Einschränkung der Grundrechte“ aufgrund der Corona-Eindämmungsmaßnahmen zu opponieren. (…) Im November 2020 war er unter anderem als Gast bei Oval Media, zum Thema „Die Verdrängung der Sterblichkeit“. Die Medienagentur ist federführend bei der Produktion der Live-Übertragungen der „Stiftung Corona Ausschuss“ um Dr. Wolfgang Wodarg, Rechtsanwalt Reiner Füllmich sowie der Rechtsanwältin und Hutmacherin Viviane Fischer. Die drei treten inzwischen auch als Kandidat:innen zur Bundestagswahl für die aus dem “Querdenken”-Spektrum hervorgegangenen Partei „Die Basis“ an. Der “Corona Ausschuss” versteht sich als außerparlamentarischer Untersuchungsausschuss, der in zahlreichen mehrstündigen Live-Übertragungen die Pandemie bagatellisiert und die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung als übergriffig bezeichnet. (…) Doch Brüggemann ist keineswegs nur Unterstützer von „1bis19“. Er und Brandenburg teilen sich auch ein Berliner Postfach. Auf seinem Blog “D-Trick” merkt der Regisseur diese Woche süffisant an, wie sehr er sich darüber freue, dass sich die “Investigativjournalisten” (O-Ton) auf dieses Fundstück gestürzt hätten. Er habe nichts zu verbergen. Und fährt fort: „Ich unterstütze die Arbeit der von Paul Brandenburg mitgegründeten Initiative ‘1bis19’, weil ich die Aussagen des Positionspapiers für richtig halte. Darüber habe ich Paul Brandenburg kennengelernt und halte ihn für einen integren Mediziner und Staatsbürger.” (…) Die Nähe zu solchen neurechten Positionen, verpackt mit den Mitteln der Satire, war ein Grund, warum die Aktion am vergangenen Freitag zum Teil so heftige Reaktionen aus der Kultur- und Medienbranche auslöste. Im Wissen um die Verbindungen Brüggemanns zu Brandenburg kommt auch die Frage der Autorenschaft von #allesdichtmachen wieder auf, das der Regisseur weiterhin als ein Gemeinschaftsprojekt der Beteiligten bezeichnet. In den Medien wurde in den vergangenen Tagen vermutet, dass Brüggemann der Hauptautor der Videos sein könnte. Ein genauerer Blick auf die Texte lässt allerdings Zweifel an dieser Theorie aufkommen. Die Skripte von #allesdichtmachen bedienen zahlreiche Themen, die auch auf “Querdenken”-Bühnen und in „alternativen Medien“ wie Reitschuster.de sowie den auf Youtube inzwischen gesperrten Kanälen Ken FM und Rubikon vorzufinden sind. Die satirische Inszenierung der Corona-Maßnahmen findet sich etwa auch im Konzept der Aktion „Schwarze Wahrheiten“ wieder. Bei diesen Performances tragen Aktivist:innen Schutzanzüge und verbreiten eine dystopische Stimmung, die den „totalen Lockdown“ und ein komplettes Social Distancing einfordert. Ziel ist es, durch Überspitzung das Vertrauen in die staatlichen Maßnahmen zu untergraben. Auffällig ist, dass sich Brüggemanns Verlautbarungen in den sozialen Netzwerken erst in den letzten Wochen vor dem Launch von #allesdichtmachen in Sprache und Rhetorik dem aggressiven Tonfall in den “alternativen Medien” sukzessive angenähert haben. Der Verdacht liegt daher nahe, dass Ideologien aus dem Dunstkreis von Brandenburgs Netzwerken direkten Eingang in die Skripte von #allesdichtmachen gefunden haben. Das lässt sich auch sehr gut an dem Aufruf an die Filmschaffenden belegen, in dem im Zusammenhang mit der staatlichen Pandemiepolitik von “Propaganda” gesprochen wird.

via tagesspiegel: Filmbranche und Querdenker Das antidemokratische Netzwerk hinter #allesdichtmachen