Aktivisten aus dem Milieu der Corona-Leugner verbreiten Privatinformationen von Journalisten. Dabei helfen ihnen rechte Influencer, die sich selbst als Reporter ausgeben. Sarah Müller hat in ihrem Leben schon Tausende Rechtsradikale fotografiert. Seit rund zehn Jahren dokumentiert sie Demonstrationen, Kundgebungen und Konzerte der Szene. All die Jahre haben die Neonazis wenig, eigentlich gar nichts über sie gewusst. Bis jetzt: Medienaktivisten aus dem Umfeld der Querdenken-Bewegung haben persönliche Informationen über sie im Internet verbreitet. Erst ihr Gesicht samt vollem Namen, später Angaben über sie, ihre Jobs, ihre Auftraggeber. Manches davon falsch, manches richtig. Wenn derlei Details öffentlich bekannt werden, ist das für Müller eine handfeste Gefahr: Der diffuse Hass auf die Presse bekommt Name und Gesicht für die von Verschwörungsgeschichten aufgepeitschten Teilnehmenden der Corona-Demonstrationen oder für Rechtsextreme, die immer schon etwas mehr über die Frau mit der Kamera wissen wollten. Deshalb wird in diesem Text nicht ihr echter Name genannt. Freunde hätten ihr Screenshots geschickt, um sie zu warnen, erzählt sie. „Ich habe ja schon lange mit Rechtsradikalen zu tun, aber dieses Ausmaß ist schon heftig“, sagt sie. „Aber bisher gab’s ja auch so etwas wie Spielregeln“ mit klarer Rollenverteilung: Es gab Extremisten und Journalisten. Seit den Corona-Protesten ist das anders.
Bei Demonstrationen teilt sich Sarah unfreiwillig den Arbeitsplatz mit Rechtsradikalen und Verschwörungstheoretikern. Die geben sich gerne als Reporter aus. Sie stehen, dank gefälschter oder manchmal sogar echter Presseausweise, oft direkt neben ihr, im Sicherheitsbereich hinter Polizeiabsperrungen oder mitten im Protestgeschehen. Aktivisten als Pseudo-Journalisten
Selten bleiben sie dabei unauffällig: Sie rennen mitten in die Masse der Gegendemonstranten, um die vermeintlich „staatsfinanzierte Antifa“ zu filmen. Nicht wenige treten als Redner auf denselben Kundgebungen auf, von denen sie vorgeben zu berichten. Von der Bühne aus verbreiten sie Verschwörungsmythen, häufig baumelt noch der Presseausweis an einem Band um den Hals. Die meisten dieser Aktivisten stammen aus rechtsextremen Kreisen oder haben schon vor den Corona-Protesten Verschwörungsmythen verbreitet. Rechtsradikale wie der Holocaustleugner Nikolai Nerling, der sich selbst den Markennamen „Der Volkslehrer“ gegeben hat, waren stilbildend für diesen rechten Pseudo-Journalismus. Das Medienportal, das Sarah Müllers Daten veröffentlicht hat, gehört auch in diese Riege. „Diese Leute benutzen ihre Presseausweise, um uns Nazis auszuliefern“, sagt sie. Auch Jörg Reichel von der Gewerkschaft ver.di ist dem Phänomen schon häufiger begegnet. „Das sind keine Journalisten, auch wenn sie immer wieder versuchen, den Eindruck zu erwecken“, sagt er. Auf die „Influencer“, wie er sie nennt, trifft Reichel selbst auf Demonstrationen, bei denen er Übergriffe auf Journalisten dokumentiert. „Die Beiträge dieser Leute folgen immer einem typischen Ablauf“, sagt er. Die Konfrontation mit Presse, Polizei und Gegendemonstranten gehöre dabei fest zur Dramaturgie. „Das bringt nämlich Klicks.“

via zeit: Querdenker auf Journalistenjagd