Die rechtsextremen Vorfälle in der deutschen Polizei reissen nicht ab. Dazu kommen Alltags­rassismus, linke Feindbilder, keine Fehler­kultur, Gewaltexzesse. Was ist da los? Gespräch mit einem, der es wissen muss: Thomas Feltes, Polizei­wissenschaftler und einstiger Rektor einer Polizeihochschule. Die Meldungen häufen sich: Deutsche Polizisten gehen hart gegen Linke, Klima­aktivistinnen, Migranten, nicht weisse Menschen vor – und lassen gleichzeitig Nazis laufen, herzen Quer­denkerinnen, tummeln sich in rechts­radikalen Chats, klauen für ihre Nazi-Kumpels Tausende Schuss Munition oder legen Todes­listen an und planen, Leichen mit Löschkalk zu verätzen. Vor rund drei Wochen berichtete die «Zeit» von einer 26-jährigen Studentin, die vom Sonder­einsatz­kommando in Leipzig verhaftet wurde und mit dem Helikopter nach Karlsruhe zum Sitz des General­bundes­anwalts gebracht wurde. Sie wurde verdächtigt, eine terroristische Vereinigung gegründet zu haben – weil sie einen Neonazi verprügelt haben soll. «Selbst wenn die Beschuldigte an dem Angriff auf die Neonazis in Eisenach beteiligt gewesen sein sollte, wirft der Fall kein gutes Licht auf die sächsischen Ermittlungs­behörden, da die Beweis­lage gegen ihre angeblich terroristische Absicht so dünn ist, während andere viel eindeutigere Beweis­lagen viel weniger vehement ermittelt werden», schrieb die «Taz». Und weiter: «Wenn ein KSK-Soldat in Sachsen Waffen und Spreng­stoff in seinem Garten versteckt, auf seinem Telefon Kontakte zu Preppern sowie SEK-Beamten gefunden werden und er privat gerne mal Nazi-Devotionalien sammelt, dann wird dieser zu zwei Jahren Bewährungs­strafe verurteilt. Wenn Hunderte bewaffnete Neonazis einen Stadtteil zerlegen, dabei zahlreiche Geschäfte und Autos demolieren und Menschen angreifen und es veröffentlichte Chat­protokolle gibt, die eine Absprache über den Angriff belegen, werden hier teils sogar nur Geld­strafen von 900 Euro verhängt. Eine kriminelle Vereinigung sieht hier scheinbar niemand.» Die Hunderten Fälle von Polizisten in rechts­radikalen Chat­gruppen in verschiedenen deutschen Bundes­ländern: alles Einzel­fälle. Der Polizist, der in Mecklenburg-Vorpommern die Neonazi-Organisation Nord­kreuz gründet: ein Einzelfall. Der zuständige CDU-Innen­minister, der die Aufarbeitung dieser Vorgänge blockiert und die Bedrohung permanent kleinredet, bis sich heraus­stellt, dass er selbst bei einem Mitglied jener «Nordkreuz»-Gruppe privat eine Pistole gekauft hat. Wenigstens hier offenbar ein Einzel­fall zu viel: Lorenz Caffier musste im November 2020 wegen des Waffen­­kaufs zurücktreten. Ende März 2021 die nächsten Einzelfälle: 17 zum Teil hochrangige Polizisten in Sachsen, die 7000 Schuss Munition gestohlen hatten – um nicht genehmigte Schiess­trainings zu bezahlen. Und zwar bei ebenjenem rechts­extremen «Nordkreuz»-Schiess­spezialisten, der dem CDU-Innen­minister die Pistole verkauft hatte. Glücklicherweise Einzelfälle – sonst müsste man sich tatsächlich fragen, wie kaputt ein System ist, wenn der General­bundes­anwalt nicht gegen den CDU-Innen­minister ermittelt, gegen «Nordkreuz»-Schiess­trainer und 17 Polizisten, die Munition klauten – sondern gegen eine linke Studentin. Oder die Mordserie des National­sozialistischen Untergrunds (NSU) und die Rolle von V-Männern des deutschen Verfassungs­schutzes: Die Unklarheiten türmen sich bis heute meterhoch. Zuvorderst die Frage, die bis heute nicht beantwortet ist: Wie konnte es sein, dass die mordenden Neonazis so lange unentdeckt blieben? Man wird es vermutlich nie erfahren. Denn während für die Studentin aus Leipzig der Staat das Sonder­einsatz­kommando und einen Helikopter aufgefahren hatte, warf der Verfassungs­schutz beim NSU zuerst einmal die Akten­vernichter an.

via republik.ch: «Fast jeder Polizist hat eine Leiche im Keller, weil jeder mal was falsch gemacht hat, was vertuscht wurde»