Mit 96 Jahren starb die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano. Eine bedeutende Zeitzeugin ist verstummt – und eine Stimme der Aufklärung und Toleranz, die fehlen wird. “Wir leben ewig, es brennt die Welt”, sang die kleine, grauhaarige Frau zu ihrem 95. Geburtstag. “Wir leben ewig, in jeder Stunde, wir wollen leben und erleben, schlechte Zeiten überleben.” Ein Video von ihrem Auftritt aus dem Internet zeigt, mit wie viel Verve, mit welcher Ausstrahlung Esther Bejarano auf der Bühne stand. Sie trat regelmäßig mit den Rappern der “Microphone Mafia” aus Köln auf, bereicherte das Programm von Stars wie die Show von Konstantin Wecker 2012 auf der Parkbühne in Hamburg und machte mit ihrem Sohn Joram und ihrer Tochter Edna als Gruppe “Coincidence” Musik. Sie sang auf Deutsch, Jiddisch und Hebräisch, sie sang Lieder der Sinti und Roma, Lieder der Kommunisten, Lieder von Widerstand, Befreiung und vom Überleben. “Mir lebn eybik, mir zenen do” – “Wir leben ewig, wir sind da!” So endet das Lied, das Lejb Rosenthal 1943 im Ghetto schrieb. Esther Bejarano hebt in dem Video zum Schluss die Arme hoch, mit geballten Fäusten. Was für ein Zeichen. Was für ein Triumph über die Nationalsozialisten, Antisemiten, Menschenhasser und Völkermörder. Bejarano hat ihnen getrotzt. Bereits als Jugendliche sollte sie sterben. Die Deutschen hatten sie in ihre Vernichtungslager gesperrt. Aber sie überlebte den Holocaust. Sie lernte, zu kämpfen, widerständig zu sein, unangepasst. Das war sie bis zum Schluss. Bis zum Ende ihres Lebens trat sie für Toleranz ein. Bejarano kämpfte gegen das Vergessen, sie war eine der wichtigsten Zeitzeuginnen für die Verbrechen im sogenannten “Dritten Reich”. (…) Am 10. Juli 2021 verstummte ihre mahnende Stimme. Esther Bejarano starb in Hamburg. In den 96 Jahren, in denen sie auf dieser Welt war, wiederfuhr ihr so viel, dass die schlimmen und schönen Erfahrungen für viele Leben zu reichen scheinen. (…) Bevor sie die Häftlingskleidung ausgehändigt bekam, musste sie sich wie die anderen jungen Frauen vor SS-Männern ausziehen. Sie wurde von Häftlingen rasiert und bekam die Nummer 41948 in den linken Arm tätowiert. “Um Gottes willen”, dachte die Jugendliche damals, die erst 18 Jahre alt war, “wenn das eine Registriernummer ist, wo sind die denn alle?” Bejarano fragte sich, wo sie bloß gelandet sei. Bald schon kannte sie die Antwort: In Auschwitz sieht sie zahllose Menschen sterben, sie erlebt, wie Wachhunde der SS Häftlinge zerfleischen, wie Gefangene in Elektrozäune laufen, um dem Leid zu entkommen. In den Krematorien werden tausende Opfer des Rassenwahns verbrannt, die Asche rieselt auf das Lager hinab. Bejarano muss zunächst Steine schleppen, schwere Brocken, von einer Seite eines Feldes zur anderen. Am nächsten Tag muss ihre Kolonne die Steine wieder auf die andere Seite tragen. Immer hin und her. Arbeit für nichts, wie sie sich später erinnert. “Vernichtung durch Arbeit” nennt die SS das. (…) In Eimsbüttel betrieb sie eine kleine Boutique. 1970 bauten NPD-Anhänger vor ihrem Laden einen Informationstisch auf und verteilten ihr Propagandamaterial. Polizisten schützten die Neonazis dann vor linken Demonstranten. Als einer der Rechtsradikalen die Beamten aufforderte, die KZ-Überlebende festzunehmen, weil in Auschwitz nur Verbrecher gewesen sein, beschloss Bejarano ihr Schweigen zu brechen. “Es ist meine Rache, dass ich an die Schule gehe”, sagte sie viele Jahrzehnte später vor einer TV-Kamera, “dass ich erzähle, was damals geschah. Damit nie wieder so etwas passieren kann.” Seitdem berichtete sie über die Hölle von Auschwitz, über die Folgen von Judenhass und Rechtsextremismus. 1986 gründete Bejarano  mit einigen Mitstreitern das Auschwitz-Komitee für die Bundesrepublik Deutschland, das Veranstaltungen gegen das Vergessen, Bildungsreisen zu Gedenkstätten und Vorträge organisiert. Sie mischte sich auch stets in aktuelle politische Debatten ein. So bezeichnete sie den Umgang mit den Lampedusa-Flüchtlingen in Hamburg als “Schande für die Stadt”. Sie prangerte auch die europäische Asylpolitik an. Vor allem aber besorgte sie ein Rechtsruck, den sie in der deutschen Politik und in der Gesellschaft wahrnahm. Esther Bejarano forderte die Nachgeborenen auf, sich dem rechtsradikalen Gedankengut entgegenzustemmen. Niemand dürfe schweigen, angesichts menschenhassender Rhetorik und Taten. Sie selbst hat ein halbes Jahrhundert lang die Stimme erhoben. “Wir leben ewig, wir sind da!”

via zeit: Esther Bejarano : “Wir sind da”

siehe auch: Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano gestorben. Zum Tod Esther Bejaranos betonte in Berlin Christoph Heubner, der Exekutiv Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees: “Auschwitz-Überlebende in aller Welt beklagen den Tod ihrer wunderbaren Freundin, Leidensgenossin und Weggefährtin, der großen Zeitzeugin Esther Bejarano, die in ihrem 97. Lebensjahr in Hamburg gestorben ist und über viele Jahre im Internationalen Auschwitz Komitee engagiert war.  Esther Bejarano hatte Auschwitz als Mitglied des Mädchen-Orchesters überlebt. Das, was sie im Lager gesehen hatte, trieb sie ihr ganzes Leben immer wieder zu den Menschen hin: In ihren späteren Jahren fand sie vielfältige künstlerische Wege, von diesem Ort des Todes zu erzählen und die , die dort ermordet worden waren vor dem Vergessen zu bewahren. Esther Bejarano ist so eine der legendärsten Zeitzeuginnen von Auschwitz geworden, denen die Überlebenden von Auschwitz zutiefst dankbar sind. Ihre Gabe, Menschen für die Bewahrung der Erinnerung zu gewinnen war ebenso legendär wie ihr Zorn über die Dummheit des Rechtsextremismus und den überall hervorbrechenden Antisemitismus, der sie zutiefst verstörte. Haß jedoch war ihr nie eine Option: Sie vertraute auf das das Leben und auf ihre Mitmenschen -trotz ihres Zorns und ihrem realistischen Blicks auf die Welt. Besonders junge Menschen hat Esther Bejarano immer wieder angesprochen und die waren fasziniert und herausgefordert von dem Mut dieser kleinen großen Persönlichkeit, die auf der Bühne vor ihnen stand und  sie bat, Verantwortung für sich selbst und ihre Zukunft zu übernehmen. Mit Esther Bejaranos Tod ist die Welt ein Stück dunkler geworden, obwohl uns gerade dieser eine Mensch soviel Licht geschenkt hat. Wir werden sie in diesen Tagen des anwachsenden Rechtsextremismus schmerzlich vermissen.”; Holocaust-Überlebende Esther Bejarano ist tot. Im Alter von 96 Jahren ist die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano gestorben. Die Wahl-Hamburgerin galt als wichtige Stimme im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus. Die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano ist tot. Das teilte der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, am Samstag mit. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) würdigte sie als “wichtige Stimme im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus”. “Die wundervolle Esther Bejarano überzeugte mit ihrer Lebenskraft und unglaublichen Geschichte”, schrieb Maas auf Twitter. “Ihre Stimme wird uns fehlen.” (…) Für ein Dossier hat der WDR ein langes Interview mit Esther Bejarano geführt. Hier können Sie die einzelnen Sequenzen dazu noch einmal ansehen

Esther Bejarano, 70 Joer Befreiung vum Faschismus-121.jpg
Von Jwh at Wikipedia Luxembourg, CC BY-SA 3.0 lu, Link