Verletzende Beleidigungen wie diese sind in deutschen Klassenzimmern noch immer üblich. Warum Antiziganismus in der Schule thematisiert werden muss. „‚Du dreckige Z! Deine Eltern arbeiten doch als Autoscheibenputzer auf der Straße!‘ – solche Beleidigungen habe ich in der Schule oft gehört“, sagt Estera, 18 Jahre, 12. Klasse. „Selbst Lehrer:innen benutzen das Z-Wort. Das macht mich unglaublich wütend!“ Die aufgeweckte Romni, die nach ihrem Abitur selber Lehrerin werden will, kam mit ihrer Familie vor rund zehn Jahren aus Rumänien nach Berlin, wie auch David, 22, Student der Sozialen Arbeit: „Mich hat ein Mitschüler mit dem Z*-Wort ein Jahr lang regelrecht gemobbt und als Dieb bezeichnet.“ Der Klassenlehrer sei nicht eingeschritten. „Im Lockdown“, erzählt er weiter, „bekam mein Bruder als einziger seiner Klasse kein Tablet für den Online-Unterricht.“ Die Begründung: „Ihr Roma* macht sowieso alles kaputt!“ Solche Berichte höre ich oft, wenn ich mit dem 2012 von mir gegründeten Verein RomaTrial Bildungsprojekte mit jungen Roma* in Berlin durchführe. Dass sie keine Einzelfälle sind, belegt die Anfang 2021 erschienene Bildungsstudie von RomnoKher e.V., für die über 600 Sinti* und Roma* in Deutschland interviewt wurden: 60 Prozent der Befragten berichten über Diskriminierungen an der Schule. Ein Viertel gibt sogar an, von Lehrkräften im Unterricht diskriminiert worden zu sein. Und 42 Prozent der Befragten verschweigen aus Angst vor Diskriminierung in der Schule oder bei der Arbeit ihre Identität. (…) Die RomnoKher-Studie zeigt auch, dass die alltägliche Diskriminierung an der Schule drastische Folgen hat. Zwar hat sich die Bildungssituation der Sinti* und Roma* im Laufe der Jahre deutlich gebessert: Während mehr als die Hälfte der über 50-Jährigen unter den Befragten die Schule ohne Abschluss verlassen hat, sind es bei den unter 30-Jährigen nur noch rund 15 Prozent – dieser Wert ist aber doppelt so hoch wie bei der Gesamtbevölkerung. Besonders besorgniserregend ist, dass die Zahl der Sinti* und Roma* ohne abgeschlossene Berufsausbildung auf hohem Niveau stagniert: Sie liegt seit Jahren bei rund 50 Prozent. Zum Vergleich: Nur 10 Prozent der Gesamtbevölkerung ist ohne Ausbildung. (…) Eine weitere Studie des Georg-Eckert-Instituts hat deutsche Curricula und Schulbücher genauer unter die Lupe genommen. Demnach wird das rassistische „Z-Wort“ in 31 Schulbüchern zwar in Anführungszeichen gesetzt, aber nicht weiter kommentiert. In 23 weiteren Fällen werden weder Anführungszeichen noch Erklärungen verwendet. Zur Erinnerung: Das „Z“ wurde Sinti* und Roma* in den Konzentrationslagern der Nazis auf die Haut tätowiert! Außerdem wird „Antiziganismus in keinem der 197 untersuchten Lehrpläne aus 16 Bundesländern explizit als Unterrichtsthema benannt.“ Die Folge: Dass Sinti* und Roma* in Deutschland und Europa seit Jahrhunderten ausgegrenzt und verfolgt werden, fällt in deutschen Schulbüchern weitgehend unter den Tisch – und damit auch im Unterricht. Hinzu kommt, dass Lehrer:innen selber häufig nur wenig über die Geschichte und Kultur der Minderheit wissen, nicht zuletzt weil die Themen auch in ihrer Ausbildung kaum eine Rolle spielen. Zudem kommen Sinti* und Roma* – wenn sie überhaupt im Unterricht erwähnt werden – kaum als handelnde Subjekte vor, sondern werden meist auf eine passive Opferrolle im Kontext des NS-Völkermords reduziert. Selbst dabei werden Stereotype übernommen, etwa wenn Fotos verwendet werden, die von Täter:innen stammen und deren rassistischen Blick widerspiegeln. Dabei gäbe es jenseits rassistischer Klischees so viel zu erzählen: Wer weiß, dass es im „Z-Lager“ des KZ Auschwitz einen erfolgreichen Aufstand der Sinti* und Roma* gab? Warum liest man so wenig darüber, wie die Minderheit die Kulturen Europas mitgeprägt hat? Und wo erfährt man etwas über die vielen Sinti* und Roma* mit erfolgreichen Bildungskarrieren?

via berliner zeitung: „Das lass ich mir von einem Zigeunerbengel nicht gefallen!“

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By <a href=”//commons.wikimedia.org/wiki/User:Stefan-Xp” title=”User:Stefan-Xp”>Stefan-Xp</a> – <span class=”int-own-work” lang=”en”>Own work</span>, CC BY-SA 3.0, Link – symbolbild