Seit einigen Jahren heißt der vorletzte Monat des Jahres für einige — meist rechtsaußen angesiedelte — Männer „No Nut November“ (NNN). Warum? Im ganzen November sollen keine Pornos angeschaut und nicht onaniert werden. Der NNN war eigentlich ein Witz auf Kosten der „NoFap“-Bewegung, einer Internet-Community, die Selbstbefriedigung aus obskuren Gründen ablehnt. Doch der Witz hat sich mittlerweile verselbstständigt und wird von esoterischen Männerrechtlern und rechtsextremen Aktivisten ernst genommen. Angefangen hat der Hype um den abstinenten November auf der Plattform Reddit in einem gleichnamigen Subreddit (Kanal). Dieser Subreddit wiederum entstand als Reaktion auf einen anderen Subreddit, „nofap“, wo sich hauptsächlich Männer gegenseitig anspornen, nicht zu onanieren. Die „NoFap“-Community glaubt daran, dass „semen retention“, also das Zurückhalten ihrer Samen, sie zu stärkeren, besseren, männlicheren Männern macht. Die Theorien der Selbstbefriedigungsgegner basieren auf entweder ausgedachten oder falsch verstandenen Fakten. Jede Ejakulation senke laut der Erzählung von „NoFap“ den Testosteronwert. Der Verzicht auf Onanie verbessere daher  Konzentration und Schlaf, und die gewonnenen Zeit, die nicht durch Selbstbefriedigung verschwendet werde, könne zur Selbstoptimierung verwendet werden. Denn der Muskelaufbau gehe dann leichter und die Beziehung zur Partnerin werde auch verbessert. Ein Thema, das allerdings nicht immer ganz klar wird. Denn einige Vertreter der Bewegung sprechen sich für komplette Abstinenz aus, also auch gegen Sex, andere wollen lediglich auf Selbstbefriedigung verzichten. Dazu wird „NoFap“ als Gegenmittel zur „Pornosucht“ propagiert, die sich in exzessiver Selbstbefriedigung äußere. So die Online-Aktivisten. Der NNN wiederum war zuerst vor allem eine Persiflage auf Themenmonate und Internetchallenges, die mehr oder weniger erfolgreich auf Krankheiten oder Missstände aufmerksam machen wollen. (…) Aber: Nicht alle haben den Witz verstanden. Der „No Nut November“ wurde zum niedrigschwelligen Einstieg in die „NoFap“-Welt. Besonders Männerrechtler und damit schnell auch rechtsalternative und extreme Influencer und ihr Gefolge nahmen den Witz sehr ernst. Wer es nicht schafft, ist ein „Coomer“ und wechselt sein Profilbild für den Rest des Monats zu einem bärtigen, grinsenden “Pornosüchtigen”. Ein Meme, das ebenfalls auf Reddit und 4chan geboren wurde. Die Prämissen der Community klingen dabei zum Teil nachvollziehbar. Expert:innen bestreiten zwar, dass „Pornosucht“ überhaupt existiert, ernstzunehmende Studien, die sie belegen, gibt es nicht. Trotzdem existieren viele legitime Kritikpunkte an der Pornoindustrie. Etwa der Umgang vor allem mit Frauen in der Branche, die Normalisierung von unrealistischen Körperbildern und Sexpraktiken, Reproduktion von rassistischen Stereotypen und vieles mehr. All das ist allerdings kein Stein des Anstoßes für die Community. Dafür haben die Onanie-Gegner aber andere Feinde ausgemacht. In der Erzählung der „NoFap“-Community ist die Pornoindustrie nämlich Teil der „jüdischen Weltverschwörung“. Juden und Jüdinnen kontrollierten demnach die großen Videoplattformen und die Studios und verdienten Geld damit, Männer durch ihre Produkte zu kontrollieren und zu manipulieren. Durch Pornosucht würden Männer verweichlicht und ihr Widerstand werde kleingehalten. Diese Erzählung ist nicht neu, sondern eine moderne Interpretation des „Juden als Zuhälters“, eine Geschichte, die bereits im 19. Jahrhundert Konjunktur hatte und von den Nationalsozialisten auf die Spitze getrieben wurde, die behaupteten, dass 90 Prozent aller Zuhälter jüdisch seien. David Duke, “Grand Wizzard” beim Ku Klux Klan, vertritt etwa diese These und bezeichnet Pornographie als „Waffe gegen Europäer“, die von Juden und Jüdinnen kontrolliert werde. Das Ziel sei dabei – wie so oft in rechtsextremen Erzählungen-, die Schwächung der „weißen Rasse“. Durch Pornographie und Selbstbefriedigung würden Männer nicht nur davon abgehalten, Kinder zu zeugen, sondern durch Porno-Genres, in denen etwa schwarze Männer mit weißen Frauen Sex hätten, würde „Rassenschande“ normalisiert. Eine Erzählung, die die Verschwörungsideologie vom „Großen Austausch“ oder der „Umvolkung“ anhand von Sexualität neu erzählt.

via belltower: „No Nut November“ – WIE AUS EINEM WITZ EIN RECHTSEXTREMER TREND GEWORDEN IST