Anfang 2021 gründete sich ein Netzwerk von Richtern und Staatsanwälten – sie kritisieren die Corona-Politik, feiern umstrittene Gerichtsentscheidungen. Wer steckt hinter der Gruppe? Und sind die Juristen eine Gefahr für den Rechtsstaat? Als der Berliner Landgerichtsrichter Pieter Schleiter am 26. Oktober 2020 in einer Fußgängerzone in Potsdam von Ordnungskräften angehalten wurde, trug er keine Maske, obwohl eine Rechtsverordnung das von ihm verlangte. Laut einem Reporter der Märkischen Allgemeinen Zeitung, der den Ordnungsdienst bei dem Kontrollgang begleitete, soll Schleiter bei der Ausweiskontrolle gesagt haben: “Ich halte die Maskenpflicht für verfassungswidrig.” Für einen Richter ein bemerkenswerter Akt zivilen Ungehorsams.  Gegen seinen Bußgeldbescheid legte Schleiter eine 190 Seiten starke Verfassungsbeschwerde ein. Mit ihr griff er unter anderem das Infektionsschutzgesetz des Bundes an. Und da klotzte er juristisch: 14 von 17 Grundrechten sollten nach seiner Meinung durch Maskenpflicht und Kontaktbeschränkungen verletzt sein. Seine Verfassungsbeschwerde stellte er ins Netz und sprach damit anscheinend zahlreichen Justizkolleginnen und -kollegen aus dem Herzen.  Aus einer informellen Diskussion seiner rechtlichen Thesen gründete sich am 14. Januar 2021 das “Netzwerk Kritischer Richter und Staatsanwälte”: eine Widerstandszelle in der Justiz gegen die staatlichen Corona-Beschränkungen. Schleiter rückte in den Vorstand. Laut der Vereins-Homepage ist das Netzwerk “politisch neutral” und die Richter und Staatsanwälte vertreten dort ihre “privaten Meinungen”: Es “versteht sich als Ansprechpartner und Stimme von Kollegen und Kolleginnen in der Justiz, deren Arbeit und Unabhängigkeit durch anderslautende politische Vorgaben unter Druck ist.” “Mit Sorge” verfolgt der Zusammenschluss die “Corona-Eindämmungsmaßnahmen”, die es “in erheblichen Teilen für verfassungsrechtlich unzulässig” hält.  
Begründet wird das auf der Website mit einem Dutzend rechtlicher Abhandlungen, unter anderem zur Maskenplicht in Gerichtsverhandlungen, strafrechtlichen Fragen zu Impfteams in Schulen oder zur Abfrage des Impfstatus bei Arbeitnehmern. Einige Artikel sind namentlich gezeichnet, etliche stammen von einem anonymen Autor “pedro”. Wer mit der Maus über den Namen fährt, bekommt angezeigt, dass der Beitrag dem Autor “pschleiter” zugeordnet wird. Warum muss der Vorstand auf seiner eigenen Seite mutmaßlich unter Pseudonym schreiben? Hinter den sachlichen Überschriften der Beiträge verbergen sich Aufsätze mit eindeutiger Tendenz: regierungskritisch mit Absolutheitsanspruch, im Ton aggressiv bis polemisch. Die Corona-Rebellen in Robe haben im Netz einen juristischen Kreuzzug gegen die staatlichen Anti-Corona-Maßnahmen gestartet, der in Teilen der Justiz ein überraschend positives Echo gefunden hat. Wer sich mit dem ehemaligen Sprecher des Netzwerkes Oliver Nölken, Amtsrichter in Recklinghausen, unterhält, erfährt, dass sich dem Netzwerk zeitweise bis zu 60 Robenträger mit “gemeinsamer Wellenlänge” angeschlossen haben sollen. (…) Für Justiz und Rechtsstaat bedenklicher ist, dass das Bündnis auch Corona-Verharmloser und -Leugner versammelt. Das offenbart die Verfassungsbeschwerde Schleiters. Darin meint er unter anderem, dass es “keinesfalls belegt” sei, dass das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung” “für den Schutz der Bevölkerung vor Infektionen mit dem Virus” “geeignet” sei, und dass die “Therapie” der staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen “wahrscheinlich” “tödlicher und schädlicher” sei als die “Krankheit” selbst. Er kündigte an, sich einer “Quarantäne” nicht “beugen” zu wollen, weil “ein ihr zugrunde liegender positiver PCR-Test” “keine verlässliche Grundlage zur Feststellung einer Infektion” darstelle.” Ins Verschwörerische gleitet er ab, wenn er unkt, dass “Zensur” stattfinde und viel “Geld im Spiel” sei, um “Sachverständige” zu bezahlen, die “Entscheidungen wirkungsvoll beeinflussen” könnten.  Wie weit diese Thesen im Netzwerk konsensfähig sind, ist schwer zu beurteilen. Ein anderes Thema entwickelte sich jedoch jüngst in der Gruppe zum Spaltpilz: das Impfangebot. Nach monatelangen Grabenkämpfe zwischen Impfgegnern und Impfbefürwortern verließen die Sprecher Nölken und Thomas Braunsdorf sowie der Erfurter Landgerichtsrichter Detlev Pahl das Netzwerk “wegen unüberbrückbarer Differenzen über die weitere Entwicklung und Ausrichtung”. In der Austrittserklärung vom 9. September 2021 werfen sie der Mehrheit der Impfgegner vor, das Netzwerk “als eine Art justizieller Arm der Querdenker-Bewegung zu positionieren”. In ihrer Wahrnehmung nimmt bei ihr “medizinisches Halbwissen, Esoterik und Verschwörungsgeraune einen immer größeren Raum ein”. In den vergangenen Monaten sei es “mehrfach vorgekommen, dass Corona-Schutzmaßnahmen in einem Zusammenhang gerückt und verglichen, ja sogar gleichgesetzt wurden mit biologischen Kampfstoffen, Völkermord und dem Holocaust”. Zu den Impfgegnern gehört nach seiner Verfassungsbeschwerde auch der Netzwerkmitbegründer Schleiter. Zu den schweren Vorwürfen der Austrittserklärung wollte das Netzwerk auf Nachfrage nicht inhaltlich Stellung nehmen. 

via lto: Querdenker in der Justiz – Corona-Rebellen in Robe