Wenn Rechtsextreme in Polizei und Bundeswehr aktiv sind, also den Behörden, die eigentlich die Allgemeinheit schützen sollen, erschüttert dies das Vertrauen der Bürger:innen. Der neue Lagebericht des Verfassungsschutzes zählt 327 Fälle. Realistisch? Eine Analyse. Lagebericht Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden GEZÄHLT AB HITLERGRUS Wenn Rechtsextreme in Polizei und Bundeswehr aktiv sind, also den Behörden, die eigentlich die Allgemeinheit schützen sollen, erschüttert dies das Vertrauen der Bürger:innen. Der neue Lagebericht des Verfassungsschutzes zählt 327 Fälle. Realistisch? Eine Analyse. Von Simone Rafael| 13. Mai 2022 Wer schützt hier eigentlich wen wovor? (Quelle: Unsplash / Dirk Martins) Im ersten „Lagebericht zu Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden“, veröffentlicht im September 2020, gab es angenehme Zahlen zu lesen: Fast fünf Millionen Menschen arbeiten im öffentlichen Dienst, und zwischen Januar 2017 und März 2020 gab es laut erstem „Lagebericht“ ganze 34 Personen, bei denen sich der Verdacht auf rechtsextreme Umtriebe bestätigte. Zynisch könnte man kommentieren: Die 34 Rechtsextremen in den Sicherheitsbehörden hätten dann wohl unzählige Tag- und Nachtschichten schieben müssen, um all die rechtsextremen Polizeichatgruppen mit hunderten Mitgliedern zu betreiben, dazu die Waffendiebstähle und Schießübungen im Hannibal-Netzwerk, ganz zu schweigen von rechtsextrem motivierter Polizeigewalt – viel zu tun! Praktisch war damit sofort klar: Hier wird kein realistisches Bild gezeichnet. Selbst die Zahlen der Verdachtsfälle schienen für die Vielzahl von „Einzelfällen” in Polizei und Militär dezent: 319 Verdachtsfälle bei den Landessicherheitsbehörden, 1.064 Verdachtsfälle beim Bundesamt für Militärischen Abschirmdienst (BAMAD), 58 Verdachtsfälle bei Bundessicherheitsbehörden – und davon also wurden 34 Fälle bestätigt. So wurden schnell Rufe nach einer unabhängigen, nicht behördeninternen Untersuchung laut. Ein neuer Lagebericht Die gibt es weiterhin nicht, dafür aber einen zweiten „Lagebericht zu Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden” vom Bundesamt für Verfassungsschutz, auch als Aufgabe aus dem Gesetzespaket gegen Hasskriminalität. Der zweite Bericht sei anders. Nicht durch unabhängige Erfassung, sondern dadurch, dass der erste Bericht, so schreiben die Autor:innen, in Behörden zu enormer Sensibilisierung zum Thema Rechtsextremismus und Reichsbürger:innen geführt habe. Da es weiterhin keine unabhängigen Melde-  oder Untersuchungsstellen für rechtsextreme Verdachtsfälle in den Sicherheitsbehörden gibt, sind die Autor:innen nämlich wieder auf die polizei-internen Meldungen und Untersuchungen angewiesen. Und die werden, so sagen es auch Polizist:innen oder Soldat:innen, durch Korpsgeist oder Angst vor Konsequenzen, wenn man selbst einen Vorfall meldet, empfindlich geschmälert. Und dies sind die neuen Zahlen: 176 Verdachtsfälle bei Bundessicherheitsbehörden 684 Verdachtsfälle bei Landessicherheitsbehörden (…) Auch wenn diese Zahlen etwas höher und differenzierter zusammengefasst sind als im ersten Bericht, erwecken sie nicht den Eindruck einer umfassenden Beschreibung der Problemlage. Bis rechtsextreme Aktivitäten in Sicherheitsbehörden gemeldet werden oder auffallen, müssen sie schon so drängend auffällig geworden sein, dass sie kaum mehr zu verbergen sind. Gerade für Präventionsarbeit wäre eine realistischere Einschätzung aber notwendig – mit behördenunabhängigen, anonymen Meldestellen könnte das realisiert werden – doch Deutschland ist noch nicht flächendeckend so weit.

via belltower: Lagebericht Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden GEZÄHLT AB HITLERGRUS

siehe auch: Über 300 Rechtsextreme in Sicherheitsbehörden Vom Anfang Juli 2018 bis Ende Juni 2021 sind 327 Bedienstete, die in deutschen Sicherheitsbehörden tätig sind oder waren, durch Bezüge zur rechtsextremen Szene und zu Reichsbürgern aufgefallen. Das geht aus dem zweiten Lagebericht „Rechtsextremisten, ,Reichsbürger’ und ,Selbstverwalter’ in Sicherheitsbehörden“ in Bund und Ländern hervor. Den Bericht stellten am Freitagmorgen Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang in Berlin vor. Beide betonten, dass Rechtsextremisten in Behörden ein Gefahrenpotential darstellten. Sie hätten zum Teil Zugang zu Waffen und Munition oder könnten sensible Daten abfragen. Derlei könne bei einer Vernetzung mit Verfassungsfeinden außerhalb der Sicherheitsbehörden an diese weitergeleitet werden. Laut dem Bericht sind unter den Bediensteten der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern in den drei Jahren 327 Mitarbeiter aufgefallen, die nachgewiesene Bezüge zum Rechtsextremismus oder zur Szene der Reichsbürger und „Selbstverwalter“ haben; Rechtsextreme bei Polizei und Bundeswehr. :Weit mehr als Einzelfälle Ein Lagebericht zeigt: In den Sicherheitsbehörden gibt es mehr als 300 Rechtsextremisten. Erstmals werden auch „private“ Netzwerke benannt. Sie zeigen den Hitler-Gruß, teilen antisemitische Posts in Chatgruppen und haben Kontakt zu rechtsextremistischen Organisationen: Die Anzahl der Rechts­ex­tre­mis­t:in­nen und Reichs­bür­ge­r:in­nen in den Sicherheitsbehörden ist größer als bislang bekannt. Das geht aus dem entsprechenden Lagebericht vor, den Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang am Freitag vorgestellt haben. Demnach sind innerhalb von drei Jahren 327 Mit­ar­bei­te­r:in­nen in den Sicherheitsbehörden aufgefallen, die nachweislich Bezüge zum Rechtsextremismus oder zur Szene der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter haben. 138 Fälle davon stammen aus den Bundesbehörden, 189 Fälle aus denen der Länder. Betrachtet wurde der Zeitraum vom 1. Juli 2018 bis zum 30. Juni 2021. „Wird die Integrität der Sicherheitsbehörden von innen heraus beschädigt, ist das besonders gefährlich für Rechtsstaat und Demokratie“, sagte Faeser. Von Rechts­ex­tre­mis­t:in­nen in den Sicherheitsbehörden gehe ein hohes Gefahrenpotential aus. Sie versprach: „Wir werden Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem öffentlichen Dienst entfernen.“ Bis Jahresende wolle sie dafür einen Entwurf zur Änderung des Bundesdisziplinargesetzes vorlegen.