“Überfremdung”? In Ungarn gibt es praktisch keine Zuwan- derer oder Gastarbeiter. Wie Ungarns extreme, hetzerische Rechte dennoch triumphiert. In der „Liszt-Lounge“ des Budapester Kongresszentrums herrschte am Abend des 7. Juni 2009 aufgekratzte Stimmung. Die Jobbik hatte ihre Prominenz sowie Sympathisanten und Medienvertreter eingeladen. Plötzlichbrandeten minutenlang Ovationen auf. Über die Fernsehmonitore flimmerten die Ergebnisse der Wahlen zum Europaparlament. Die Jobbik war bei einem landesweiten Urnengang erstmals allein angetreten – und aus dem Stand auf 14,8 Prozent der Stimmen gekommen. 427.000 Menschen hatten an diesem Tag ihr Vertrauen der Rechtsaußen-Partei geschenkt. Diese konnte nun drei Vertreter ins Brüsseler Parlament entsenden. Jobbik-Chef Gábor Vona und die drei frischgebackenen Europa-Abgeordneten nahmen unter den Triumphrufen ihrer Fans auf dem Podium Platz. (…) Der neue Totschlag-Slogan vermengte den schrecklichen und spektakulären Einzelmord mit der den Roma zugeschriebenen Kleinkriminalität. Vor allem im ländlichen Raum verstärkte sich dadurch der Zulauf zu den Rechtsextremisten enorm. Nach der nachhaltigen Besetzung des Kampfbegriffs „Zigeunerkriminalität“ legten die Jobbik-Strategen noch eins drauf. Am 25. August 2007 gründeten sie eine paramilitärische Organisation: „Magyar Gárda“ (Ungarische Garde). Medienwirksam wurde der Gründungsakt mit der „Vereidigung“ der ersten 55 Gardisten auf der Burg von Buda verknüpft, praktisch unter dem Balkon des Sándor-Palais, des Amtssitzes des ungarischen Staatspräsidenten. Ein Pfarrer mit fast schulterlangem weißem Haar und schwarzer Sonnenbrille – als ob Don Camillo und Al Capone in einer Figur verschmolzen wären – segnete die Fahnen der neuen Formation. Die Choreografie sollte sich bei allen weiteren Auftritten wiederholen: militärische Aufstellung, militärische Exerzierbefehle, weihwasserspritzende Pfarrer, Eidesformeln aus rauen Kehlen. Die Uniformen wecken in Schnitt und Farbe ebenso wie mit den dazugehörigen Militärkappen, Springerstiefeln und Arpad-Streifen-Armabzeichen Assoziationen an die Kluft faschistischer Truppenformationen aus dem Zweiten Weltkrieg. Manche älteren jüdischen Bewohner von Budapest fühlen sich bei ihrem Anblick an jene Stoßtrupps erinnert, die im Holocaust-Jahr 1944 an die Wohnungstür gepocht hatten, um sie abzuholen.
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